Gerade wühle ich in meinen alten Notizen und da fällt mir doch meine persönliche Zusammenfassung einer interessanten Betriebsversammlung aus dem Jahr 1992 in die Hände.
Als wir in den Jahren 1990 und 1992 unsere beiden neuesten Kreuzfahrer Horizon und Zenith ablieferten, führten wir eine ganz besondere Betriebsversammlung durch.
Wir diskutierten mit der gesamten Mannschaft darüber, wie wir uns in dem Markt weiterhin behaupten könnten. Herr Meyer wies schon damals darauf hin, dass wir nur durch eine konsequente Spezialisierung erfolgreich sein könnten. Nur wenn wir die schnellsten, die Zuverlässigsten, qualitativ und preislich besten Schiffbauer seien, hätten wir eine Chance. Das wir dazu in der Lage seien hätten wir mit der Horizon und der Zenith unter Beweis gestellt.
Ich war damals Betriebsratsvorsitzender und habe nach der ausführlichen Würdigung der Gesamtlage zum Ende der Betriebsversammlung aufgefordert all das was uns erfolgreich gemacht hat kritisch zu überprüfen und ggf. über Bord zu werfen. Wir müssten unsere unmittelbare Arbeit, die Werft, die Abläufe in der Produktion unsere Produktideen vielleicht gerade jetzt komplett neu erfinden.
Nach diesen Worten rührte sich keine Hand zum Beifall. Es gab nur ein kollektives Schweigen so schwer wie Blei und hörbar unzufriedenes Gemurmel.
Das ist für einen Betriebsratsvorsitzenden sicherlich die Höchststrafe!
Ein alter Kollege aus dem IG Metall Vertrauenskörper, meldete sich zu Wort und empörte sich. In knappen plattdeutschen Worten geißelte er meinen Appell als unverständlich und nicht fair. Alle Kollegen hätten sich so angestrengt, dass es uns nur so gelungen wäre, pünktlich fertig zu werden. Jetzt hätten wir uns doch wohl eine Belohnung bzw. doch das Recht auf ein Zurücklehnen, eine „Verschnaufpause“ verdient. Er verstände nicht, was der Betriebsratsvorsitzende mit seinen Worten erreichen wollte.
Ein beeindruckender, für unsere Verhältnisse, rauschender Beifall kam auf.
Alle Blicke, die der Mitarbeiter, meiner BR-Kollegen und die der Geschäftsleitung wandten sich mir zu.
Was tut man in einer solchen Situation? Den Wortbeitrag angreifen, mit allen zur Verfügung stehenden rhetorischen Rednerwerkzeugen zerlegen, ihn ignorieren?
Nun, da wir fast am Ende der Versammlung angelangt waren, habe ich allen Rednern gedankt, ein kurzes Fazit gezogen – doch kaum einer hörte hin, alles wartete nur auf meine Erwiderung auf diesen nicht aggressiven aber sehr authentischen Angriff.
Meine Antwort war wie folgt:
„Doch bevor ich die Betriebsversammlung beende, liebe Kolleginnen und Kollegen möchte ich doch auf den Wortbeitrag des Kollegen Walter eingehen.
Ich finde es beeindruckend das er seinen Wortbeitrag so wie wir ihn kennen auf plattdeutsch vorgetragen hat. Ich finde es beeindruckend, dass ihr ihm so viel Beifall gespendet habt. Ihr seht, so schwer ist es gar nicht vor einer größeren Menge an Menschen zu reden. Ihr alle wartet auf meine Antwort, denn ich habe etwas völlig anderes von uns allen gefordert wie der Kollege und ihm habt ihm Zustimmung durch euren Beifall gezeigt, während ihr meine Aufforderung offenbar nicht gut gefunden habt“.
Zustimmendes Gemurmel erhob sich aus der Menge.
Weiter habe ich dann ausgeführt, das ich der Meinung wäre das dann, wenn in unserer Mitte Koreaner, Japaner oder andere Konkurrenten gesessen hätten, diese noch viel viel mehr und stärker Beifall gespendet hätten.
Denn genau dies sei ihre Chance. Dass wir stehenbleiben würden, dass wir warten, bis sie aufgeholt und uns letztendlich überholt hätten.
Sie hätten begeistert geklatscht zu der Idee, dass wir doch bitte etwas langsamer an uns arbeiten.
In der plötzlich entstandenen Totenstille, man hätte eine Stecknadel fallen hören können, habe ich dann die Betriebsversammlung beendet.
Mein alter Betriebsratskollege Wilhelm Kröger kam anschließend bei mir vorbei und sagte mir das ich mit dieser Versammlung meine Chancen auf eine Wiederwahl völlig verspielt hätte. Dieser Einschätzung schlossen sich seinerzeit viele an.
Ich habe den Kollegen aber gesagt wie überzeugt ich von der Richtigkeit meiner These zur Notwendigkeit von kontinuierlichen Veränderungen und Anpassungen sei. Als Trennseite liegt in all meinen Kalendern seit eh und je der Spruch ….
„An allem, was man im Leben macht, hängt ein Preisschild“.
Das, was man tut, mag Konsequenzen haben, dass was man unterlässt jedoch auch.
Bei den darauffolgenden Betriebsratswahlen nach dem Persönlichkeitsprinzip wurde ich von 89,8 % der Mitarbeiter wieder als Betriebsrat gewählt.
Mein Fazit, – nicht Popularität, Stammtischtauglichkeit oder die Unumstrittenheit von Themen sind maßgeblich für das Vertrauen der Menschen an ihre zu wählenden Vertreter. Vertritt man auch umstrittene Positionen voller Überzeugung und ist authentisch, überzeugt dies Menschen mehr als alles andere. Man muss Themen nicht verkaufen. Dies ist mittlerweile ein so geläufiger Begriff geworden das es mich gruselt. Das was man denkt soll und kann man sagen, das was man sagt soll man tun und das was man tut soll man auch sagen und verfolgen.
Lieber Peter.
Ich habe das unseren aktuellen Betriebsräten immer wieder gesagt das man nicht zwingend mit der Menge mitschwimmen muss, das die Menschen auch den wählen der zwar unpopuläre aber nachvollziehbare Wahrheiten ausspricht. Ich erlebe oft das mir in Diskussionen gesagt wird, ist zwar richtig aber das kann man nicht verkaufen…..
Das wollte ich damit ausdrücken – und ich habe viele Notizen und nicht nur ein gutes Gedächtnis 🙂
Lg
Paul
LikeLike