In der Augsburger Puppenkiste spielte bei Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer der Scheinriese Herr Tur Tur eine Rolle. Bei dem Herrn Tur Tur handelt es sich um einen alten Mann der aus der Entfernung so groß wie ein Leuchtturm ist und der umso näher man kommt, auf eine „Normalgröße“ schrumpft.
Also genau das, was man bei vielen Prominenten auch erleben kann.
Gunter Dueck hat parallel dazu einmal den Begriff der Scheinzwerge geprägt.
Dabei handelt es sich nach seiner Definition um Dinge, die wir als vermeintlich klein wahrnehmen, die aber bei näherer Betrachtung riesig groß sind bzw. sein können.
Aus beiden Betrachtungen können falsche Entscheidungen entstehen.
Notwendige Veränderungen, Aufgaben oder Ziele packen wir nicht an, weil wir sofort alle nur denkbaren Probleme zu erkennen glauben. Die Risiken fallen sofort auf, Unsicherheit macht sich breit. Es wächst die Angst und die Phantasie lässt Herrn Tur Tur (unsere Aufgaben, Ziele, Herausforderungen) immer unüberwindbarer, immer riesiger erscheinen. Diese Wahrnehmung lässt sich, wie bei Jim Knopf und Lukas dem Lokomotivführer, nur durch eine Annäherung an den Scheinriesen verifizieren. Die Entfernung zu Herrn Tur Tur verfälscht eine realistische Einschätzung und verleitet zu falschen Aktionen.
Umgekehrt ist es allerdings genauso. Bei dem Scheinzwerg handelt es sich um Dinge über die man lächelt und als Kleinigkeit einstuft. Auch hier spielt die Entfernung, eine große Rolle. Solche Scheinzwerge sind z.B Baumaßnahmen wie der Berliner Flughafen oder die Elbphilharmonie. Nun sind Flughäfen und Konzertsäle keine so wirklich außergewöhnlichen Projekte – so meint man. Doch dann erweist sich der Zwerg bei näherem Hinschauen doch als Riese. Eine einfache Feuerlöscheinrichtung in einem Flughafen bewirkt, sobald man sie aus der Nähe betrachtet, das eine Riesenwelle an damit zusammenhängenden Problemen losrollt und plötzlich stehen alle Beteiligten fassungslos vor einem Problemgebirge, wo man vormals einen Hügel wähnte.
Bei dem VW-Abgasskandal entwickelt sich ein vermeintlich überschaubarer technischer (Schein) Zwerg zu einem veritablen Riesen. Umso genauer man schaut, umso mehr rückt das vordergründige Problem in den Hintergrund und völlig andere Gefährdungspotentiale hinsichtlich der Gesamtorganisation und der Kontrolle entwickeln sich mit einer großen und nicht zu unterschätzenden Dynamik.
Wenn Zitate fallen wie: „Das ganze Ausmaß können wir nur schwer einschätzen“ ist dies ein deutliches Zeichen für Dueksche Scheinzwerge.
Ganz aktuell lässt sich das an der Flüchtlingsfrage festmachen. „Wir schaffen das, es muss und es wird gehen“ – das hört sich gut an. Für viele engagierte Helfer vor Ort ist es aber bestürzend, wie solche „Scheinzwergsätze“ an der tatsächlichen Realität vorbeigehen. Sie, die Helfer und Fachleute vor Ort erleben die Probleme hautnah und wissen das der vermeintliche Scheinzwerg ein echter Riese ist. Sie brauchen praktische Hilfe und Unterstützung und keine guten Ratschläge die sich aus großer Entfernung so leicht formulieren lassen. Sie schimpfen auf die da in den Regierungszentralen, über die Gelassenheit oder Gleichgültigkeit hinsichtlich der Auswirkunken von vielen politischen Entscheidungen oder aber auch (fast genauso schlimm) Nichtentscheidungen.
Ich persönlich glaube nicht das es böser Wille oder nur Unfähigkeit ist, mit dem wir es zu tun haben. Die Entscheider sind wie viel zu oft in der Politik, in Betrieben, in Behörden und in allen anderen Lebensbereichen nur viel zu weit weg von den Problemen und schätzen die Dimensionen falsch ein.
Eben ein Scheinriesen oder ein Scheinzwergproblem.
Bei den auftauchenden Schwierigkeiten entstehen dann tiefe Irritationen zwischen allen Beteiligten. Lösungen werden stückchenweise angedacht weil der Herr Tur Tur fälschlicherweise von den einen als Scheinriese und von den anderen als Scheinzwerg angesehen wird.
Die einen glauben, das die vermeintliche Dimension wie bei Jim Knopf, alles nur eine Illusion ist und das Ganze sich relativieren wird. Sie halten alles für überschaubar, was für die anderen als unüberwindlich erscheint – je nach Entfernung. Aus diesen verschiedenen Blickwinkeln erscheinen auch die Lösungen den einen als passend, den anderen als lächerliches Stückwerk.
Egal welche Herausforderungen wir vor uns haben, theoretische Lösungen gibt es zuhauf. Doch ob diese tatsächlich taugen sehen wir erst wenn wir unmittelbar bei Herrn Tur Tur sind. Es geht darum nicht zu theoretisieren sondern unmittelbar anzupacken. Dies stellt sicher, das man vor Ort ist und weiß, über was man eigentlich redet.
Weniger Talk Show Auftritte, weniger wohlgesetzte Erklärungen wären schon mal gut. Raus aus dem Elfenbeinturm müssen wir alle und heran an die Aufgaben – erst dann merken wir alle ob Herr Tur Tur ein Scheinriese oder eben ein Scheinzwerg ist.
Ran an die vielen Projekte in den Betrieben zur Verbesserung auf allen Ebenen. Hinein in die Strukturen der Schulen um unser Bildungssystem zu hinterfragen, hinein in den Zentren in denen wir unsere älteren Mitmenschen pflegen oder manchmal leider auch kasernieren. Heran an das DRK und viele andere Organisationen die geflüchteten Menschen helfen. Hinein in die kommunalen Diskussionen zu vielen Themen die uns angehen.
Diese Aufforderung gilt für alle die, die an einer aufrichtigen eigenen an Fakten orientierten Positionierung interessiert sind. Pegida, AfD oder auch ideologisch sonstig verbretterte Mitmenschen von rechts und links, werden weiterhin immer auf Distanz zu Herrn Tur Tur bleiben um weiter unverantwortlich, demagogisch bleiben zu können und nur ja nicht nachdenklich werden zu müssen.
Wie schreibt Gunter Dueck….und da stimme ich ihm voll und ganz zu:
„Ich denke gerade darüber nach, wo es noch weitere unerkannte Scheinzwerge gibt. Der Größte, den ich bisher fand, heißt: „In den Köpfen der anderen muss sich etwas ändern.“