Im Jahr 1981 wurde zur großen Friedensdemonstration in den Bonner Hofgarten aufgerufen. Auf der Werft spielten die damaligen politischen Diskussionen fast keine Rolle.
Von unserem Betriebsrat kamen so gut wie keine Informationen. Ich konnte das nicht verstehen. In jugendlichem Eifer fing ich an, für diese Demonstration zu werben.
Zwar war ich schon das eine oder andere Mal bei verschiedenen Anlässen mit einem Wortbeitrag in der Menge in Erscheinung getreten, aber dies recht zurückhaltend. Immerhin war ich erst kurz aus der Ausbildung und suchte meinen Status in unserem Team. Als etwas kritischer und widerspenstiger bzw. widersprechender Mitarbeiter hatte ich sowieso keinen so ganz leichten Stand bei meinem Meister.
Dennoch entschied ich mich mit heißem Herzen dafür, die Demo Plakate in den Pausen in die Aufenthaltsräume zu bringen und Werbung für die Teilnahme zu machen.
Das wurde ein heißer Tanz. Viele der Kollegen waren nicht nur bei der Bundeswehr gewesen, sondern auch noch überzeugte Reservisten. Diese Alpha Männchen fielen unter allgemeinem Gejohle über den Grünschnabel her wie ein Rudel Hyänen. Zwei Wochen lang war es ein intensiver Kampf um die Plakatplätze am schwarzen Brett. Ich weiß nicht wie viele Plakate ich, nachdem sie manchmal noch während der Pause heruntergerissen wurden, wieder angebracht habe.
Doch mit einem unverbesserlichen ostfriesischen Dickschädel gesegnet ließ ich mich in keinster Weise einschüchtern. Trotz massivem Gegenwind bekam ich doch immer mehr Zuspruch und spürbaren Respekt.
Diese Erfahrungen war auch für den nächsten Tag notwendig. Das, was mir dort passierte hätte ich sonst kaum unbeschadet überstanden. Kurz vor dem Feierabend entwickelte sich im Maschinenraum unseres Gastankers ein heftiges Streitgespräch mit zwei ehemaligen Berufssoldaten. Anders als heute glichen die Maschinenräume damals großen leeren Hallen mit beeindruckenden Fundamenten auf denen später die Antriebsmaschinen montiert wurden. Es sammelten sich immer mehr Zuhörer, ich stand auf dem Maschinenfundament und wehrte mich mit meiner nicht leisen Stimme nach Leibeskräften. Vom Hauptdeck über das Zwischendeck bis zum Doppelboden schauten und hörten uns wie in einem Amphitheater fast 100 Menschen zu. Es war keine inhaltlich bemerkenswerte Debatte zur Friedensdemo. Sie war laut, sie war agressiv, sie war voller Emotionen, aber sie machte wahnsinnig Spaß! Ich habe so gebrannt, ich war so unendlich fokussiert, ich war so bei mir selber – es hätte Stunden so gehen können. Doch die Sirene zum Arbeitsende beendete das Spektakel.
Beim Herausgehen schlugen mir verschiedene Kollegen auf die Schulter. Diese Respektbezeugung vergaß ich nicht. Obwohl ich am Abend und die nächsten Tage heiser war, diesen Augenblick werde ich nie vergessen und er war der Beginn einer Betriebsratskariere.
Doch noch etwas anderes habe ich gelernt. Ich habe gelernt welchen Unterschied es macht ob man eine Rede halten muss oder eine halten will.
Wie unendlich viele langweilige uninspirierte und anödende Reden habe ich in den letzten Jahren über mich ergehen lassen müssen.
Ich hatte vorher weder in der Schule noch in der Ausbildung gelernt über etwas zu sprechen was mir wirklich am Herzen lag. Man musste immer das referieren was und wie es die Lehrer wollten.
Sowohl bei der Motivation zur Friedensdemo, bei unseren späteren Kämpfen um die Emsvertiefung, bei den verschiedensten Gelegenheiten war es mir vergönnt meine Zuhörer anzustecken. Es ist so unendlich schön wenn man in der Lage ist zu inspirieren, Begeisterung und Leidenschaft zu teilen und Emotionen zu wecken.
In Hattingen war ich auf einer großen Demo zu einem Grußwort. Da standen dort die Menschen deren Lebensmittelpunkt, das Stahlwerk, geschlossen wurde. Leere Worte schleuderten viele Redner über ihre Köpfe hinweg, Phrasen und aufgewärmte Konserven.
Vom Rednerwagen aus hat man einen Blick in die Gesichter.
Man spürt die Emotionswellen, wenn man alle Sensoren auf Empfang stellt.
Und es ist so unglaublich schmerzhaft, wenn das Feuer in den Augen erlischt, in einem Schwall von Worten gelöscht wird.
Ich habe daraufhin meinen vorbereiteten Redetext einfach vergessen und mich auf eine vor mir stehende Familie mit ihren Kindern konzentriert. Zu ihnen habe ich so gesprochen, wie ich es mir gewünscht hätte, wenn ich dort mit meinen Kindern gestanden hätte. Nach nur wenigen Worten war spürbar eine Verbindung da. Es fühlte sich an wie eine warme Dusche.
Lebendige Reden zu halten ist das schönste, was man sich vorstellen kann.
Die Zutaten für eine gute berührende Rede sind die Einheit von Inhalt, Redner und den Menschen die zuhören. Und vor allem man muss der Vortragende es genießen und nicht erleiden!
Sie müssen es mögen dort stehen zu dürfen! Das, genau das merken die Menschen. Sie können sich viele Fehler erlauben, sie müssen nicht perfekt sein. Sie müssen das was sie zu sagen haben auf ihrem Herzen spazieren tragen denn dann strahlen sie das nach außen und damit erzeugen sie Reaktionen bei ihren Zuhörern. Diese merken sofort was sie da machen, ob sie nur schnell davon kommen wollen ob sie nur verkaufen ob sie tricksen.
Die Menschen rührt das Authentische. Die Menschen schätzen klare Ansagen. Doch vor allem respektieren die Menschen Ernst und Überzeugung. Ich habe in mehreren Jahrzehnten erlebt, wie sehr gefühlte Kompetenz wirkt.
Ich habe gelernt, dass ich die Rede bin. Körper und Sprache sind nur Mittel zum Zweck.
Ein Schauspieler spielt seine Rolle. Als Menschenfischer spielen sie keine Rolle sie sind die Figur, sie sind (!!) die Hauptfigur.