In wenigen Wochen segele ich auf meinem beruflichen Lebensweg 45 Jahre mit der Meyer Werft auf parallelem Kurs. Eine ereignisreiche, spannende Zeit, die ich nie bereut habe.
Wie singt Johannes Oerding in seinem Song „Hundert Leben“?
Ein Leben, das für hundert Jahre reicht.
Für 100 Jahre mögen meine Erlebnisse nicht ganz reichen, aber diese Zeit war ein Geschenk.
Schiffbau ist an sich schon eine erfüllende und sinngebende Arbeit. Dies gilt erst recht, wenn man auf der Meyer Werft arbeitet.
Und ständig wieder entwickeln sich auf dieser Werft und mit dem Papenburger Schiffbau ganz außergewöhnliche Menschen.
Natürlich steht die Unternehmerfamilie verdientermaßen im Fokus. Aber die Einzigartigkeit, das pochende Herz der Werft, findet man in der Belegschaft.
Bei den Arbeitern und Angestellten auf der früheren Helling, in den Hallen, den Werkstätten und den Büros.
Ich mochte diese Belegschaft schon immer. Die Menschen auf dieser Werft sind so interessant, einzigartig und vielfältig wie die Schiffe, die unter ihren Händen entstehen.
So viele Veränderungen und Herausforderungen wurden gemeinsam gemeistert. Der erfolgreiche Umzug von der alten zur neuen Werft, oder der Einstieg in den Kreuzfahrtschiffbau, um nur zwei Beispiele zu nennen.
Als ich meine Lehre zum Schiffbauer begann, waren wir eine kleine und oft belächelte Werft in einer von großer Massenarbeitslosigkeit gebeutelten Gegend am Rande Deutschlands. Auf die großen Werften mit ihren zigtausenden Beschäftigten wurde geschaut. Die Thyssen Nordseewerke in Emden, den Bremer Vulkan, die AG Weser, Blohm und Voss in Hamburg oder auch die damals riesige Howaldtswerke Deutsche Werft (HDW) in Kiel. Doch immer mehr dieser stolzen Werften verloren den Überlebenskampf. Es war ein bitteres Gemetzel.
1984 durfte ich als junger Betriebsrat zum ersten Mal bei den IGM Sitzungen der Arbeitsgemeinschaft Schiffbau dabei sein. Dort kamen kleine Delegationen der Werftbetriebsräte zusammen. Es waren damals so viele, dass die Sitzung im Saal (!!) des Besenbinderhofes an der Kurt Schumacher Allee in Hamburg stattfand.
Heute könnten diese Sitzungen schon fast im Büro des Bezirksleiters abgehalten werden.
Meine Klassenkameraden machten sich damals lustig darüber, dass ich eine Lehre auf der Meyer Werft begann. Viele waren zur großen Nordseewerft nach Emden oder zur schmucken Janssen Werft nach Leer gegangen. Auf allen regionalen Werften hatte ich mich beworben, die Einstellungstests bestanden und überall Ausbildungsplatzzusagen.
Warum die Meyer Werft? Ich kann es nicht erklären. Es war eine „Bauchentscheidung“, wie so unendlich oft in meinem Leben. Damals konnte keiner erahnen, welche Entwicklung der Schiffbau nehmen würde.
Für die Meyer Werft ging es in den Jahren der großen Schiffbaukrisen fast immer um alles. Zukunftsbedingungen mussten hart erarbeitet und erstritten werden. Nie war es einfach. Brücken, Schleusen, Emsvertiefungen, um nur einige wenige „Schlachtfelder“ zu nennen, bedeuteten unentwegtes Werben und nicht enden wollende politische Mühsal.
Der Glaube an unsere Zukunft in Papenburg musste mit missionarischem Eifer verbreitet werden. Auch die exklusiven Kunden wollten überzeugt und in die Papenburger „Provinz“ gelockt werden.
Ich habe dies alles immer als einen Kampf mit durchgedrücktem Rücken erfahren und dem Gefühl, etwas Besonderes mit dieser Werft erleben zu können.
Die Meyer Werft war noch nie „normal“. Als junge Menschen hörten wir staunend, was unsere Vorfahren schon alles geschafft hatten. Und wie oft und tiefgreifend mussten sich die Menschen umstellen! Als alle anderen noch Holzschiffe bauten, wechselte die Meyer Werft auf Stahl. Dann ebenso revolutionär vom Segel auf die Dampfmaschine.
Diese unglaublichen Menschen bauten vor über 100 Jahren ein Schiff (die Graf Goetzen) in Papenburg zusammen. Dann wurde es auseinandergenommen, in Kisten nach Afrika zum Tanganjikasee See gebracht und an Ort und Stelle wieder zusammengebaut.
Dort dient sie als Liemba bis heute den Menschen.
Was für ein Beispiel an Mut, Tatkraft und Ideenreichtum aller Menschen. Diese Tradition des „alles außer gewöhnlich“ habe ich in den zurückliegenden 45 Jahren unentwegt erlebt.
Das Jubiläumsbuch der Werft zum 225-jährigen Bestehen beschreibt dieses Abenteuer und hätte das Potenzial zum Drehbuch für einen Hollywood Blockbuster.
Gibt es etwas Vergleichbares?
Ich glaube nicht!
Doch wie übersteht ein Betrieb das alles, wird dabei sogar stärker und wächst, während andere es nicht schaffen?
Wie hat diese Werft es bewerkstelligt, immer wieder an der Spitze des Fortschitts zu stehen. Woher kommen die ununterbrochenen neuen Ideen und Kräfte für die Entwicklung bahnbrechender Produkte? Wie entsteht eine Tradition des unverzagt nach vorne schauens? Wie kommt es, dass aus diesem Betrieb für die Region, für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und die Kunden immer wieder neue Visionen und Träume entstehen?
Ist es möglich, dass die Geschichte unserer Vergangenheit Hinweise dafür hat, wie unsere Zukunft sein kann? (Wenn wir nur aufmerksam zuhören?)
Fortsetzung folgt: