Der 1. Mai war für mich viele Jahre ein sehr verplanter Tag.
Der Tag der Arbeit war als Pflichtveranstaltung für einen Gewerkschafter fest im Kalender eingetragen. Anschließend ging es zur Geburtstagsfeier meiner Schwiegermutter, wo leckere Torte auf mich wartete.
Der bevorstehende 1. Mai 2020 wird völlig anders sein als je zuvor. Als Folge der Corona Krise schrumpft die Wirtschaft in einer atemberaubenden Geschwindigkeit. Nach vielen Jahren des fortwährenden wirtschaftlichen Wachstums, schauen wir in den fast vergessenen Abgrund einer brutalen Rezession.
Noch vor wenigen Monaten war annähernde Vollbeschäftigung mehr oder weniger unsere Realität. Wir alle diskutierten intensiv über die Möglichkeiten einer Zuwanderung aus dem Ausland, um unsere Wirtschaft arbeitsfähig zu erhalten.
Und innerhalb von nur wenigen Wochen verhindern jetzt 10 Millionen (!!!) Kurzarbeitsmeldungen eine schnell und stark steigende Arbeitslosigkeit. Unglaublich.
Nach Expertenmeinung werden wir in wenigen Monaten fast 500.000 Beschäftigungen verlieren. Es wird zu Verwerfungen und Strukturveränderungen kommen.
Einige wenige Annahmen zu den Krisenfolgen:
Die Automatisierung und die Digitalisierung werden schnell und stark ansteigen. Sie bekommen durch die Krise einen richtigen Schub.
Virenunanfällige Algorithmen werden die Automatisierung in Dienstleistungssektoren, Callcentern, Servicebereichen und bei administrativen Aufgaben in Verwaltungen vorantreiben.
Die konsequent auf Just in Time ausgerichteten instabilen Lieferketten zeigten ihre extreme Störanfälligkeit. Die fatale Abhängigkeit von tagesgenauer Anlieferung war überall spürbar. Viele dieser Strukturen, Transport und Logistikketten werden sich verändern. Angepasste etwas größere Lagerkapazitäten bedeuten weniger zeitgleiche Transporte auf der Straße. Weniger bzw. entzerrte Logistik bedeutet weniger Logistiker?
Die Anzahl von Reisen zu Konferenzen und Ähnlichem wird abnehmen. Vieles lässt sich mit digitaler Technik bewerkstelligen. Die Home-Office-Zeit hat Grenzen aber auch viele Möglichkeiten aufgezeigt.
Die Schulen werden anfangen darüber nachzudenken, ihre Unterrichtsformen durch Module in einer Mischung zwischen Präsenz und Fernunterricht zu organisieren. Dies wird Auswirkungen auf Bildung, Bildungsstätten und Bildungspersonal haben.
Diese Entwicklungen werden nun viel schneller kommen als gedacht oder manchmal befürchtet. Dies mag im ersten Augenblick dystopisch klingen.
Doch wenn wir es klug und mutig anstellen und die richtigen Schlüsse aus dem Zeitenwechsel ziehen, müssen wir trotz der bevorstehenden Probleme nicht starr vor Angst sein. Wir müssen uns nur entschlossen anpassen.
Leider werden wir Arbeitsstellen verlieren. Hoffentlich nicht zu viele und hoffentlich nicht die falschen! Mit aller Macht werden wir um unsere innovativen Betriebe und um die Arbeitsplätze ringen.
Aber wir sollten diese Zeitenwende auch klug angehen.
Es wird eine neue Arbeitsteilung in der Welt und in Europa geben.
Unser Handeln in der vor uns liegenden Zeit, sollte nicht von blanker Panik und lähmender Furcht, sondern von der Gewissheit geprägt sein, dass uns trotz der Krise die Arbeit nicht ausgehen muss (wenn wir mutig, außergewöhnlich und entschlossen agieren).
Anpassung und Neustart nach einer Krise verlangen die bewusste Entscheidung für Betriebe, Arbeitsaufgaben, Bereiche und Sektoren, die wir gemeinsam schützen und erhalten wollen. (Dazu gehört nebenbei bemerkt auch die aktuell notleidende Kultur).
Mit allen finanziellen Konsequenzen werden wir politisch entscheiden müssen, was an Leistungen für uns als Gesellschaft sozialpolitisch wichtig sind (und nicht nur in Krisenzeiten applaudieren).
Wir werden prüfen müssen, ob und wie wir in einer sich neu formierenden internationalen Arbeitsteilung in unserem Land einfachste Arbeiten aufrecht erhalten können oder müssen. Es wird dabei auch Tätigkeiten geben die zukünftig an anderen Orten oder von anderen Menschen durchgeführt werden.
Bei diesen Strukturveränderungen stellt sich die Frage nach dem bedingungslosen Grundeinkommen völlig neu und sehr drängend!
Angesichts der vielen Unsicherheiten und wirtschaftlichen Hiobsbotschaften zögere ich ehrlicherweise auch etwas bei folgendem Satz:
Später als gedacht, werden uns dennoch (!!) die Arbeitskräfte ausgehen.
Die Daten aus den demographischen Entwicklungen und ihre Folgen sind nicht mehr beeinflussbare Entwicklungen.
Die Frage ist, ob die aktuelle Krise uns veranlasst, den so lange verschlafenen Sprung in eine neue, eine andere Arbeitswelt zu wagen?
Diese neue Arbeitswelt wird völlig anders aussehen als jene, in der wir es uns so viele Jahre gemütlich gemacht haben.
Das sind sicherlich provokante und herausfordernden aber auch lohnende Fragen in einer Krisenzeit.
Und ein so außergewöhnlicher 1.Mai 2020 hat etwas Querdenken verdient, oder?