Man lernt den vollen Wert eines Menschen erst schätzen, wenn man das Anrecht auf ihn verloren hat.
Dieses Zitat von Wilhelm Vogel ist vielleicht etwas drastisch, aber irgendwie trifft es auch meine Wahrnehmung der heutigen etwas surrealen Zeit?!
Viele Dinge die ich bisher als selbstverständlich wahrgenommen habe, sind dies heute nicht mehr. Ich lerne Ereignisse, meine Umgebung, mir wichtige Menschen mehr als bisher zu schätzen, entdecke sie neu.
Die Welt wird nach Corona eine andere sein. Darin sind wir uns alle einig. Doch was wird anders sein?
Ich vermisse schmerzlich die vorher so selbstverständliche Nähe zu den eigenen Kindern. Wie doch eine manchmal auch nur kurze Umarmung fehlen kann. Wie die Enkel mit ihrer unstillbaren Sucht nach jederzeitiger Aufmerksamkeit fehlen können.
Die Zeit mit nahen Menschen ist ein unwiederbringliches Gut und durch nichts zu ersetzen.
Jedes gute Gefühl von Nähe und Wärme und damit Glück, auf das wir heute verzichten müssen ist unrettbar verloren. Diese verlorene Distanzzeit kehrt nicht wieder, versinkt in der Unendlichkeit.
Der Tod meines Vaters hat in meinem Leben einen tiefen Riss hinterlassen. Die endliche, die uns geschenkte begrenzte Zeit wurde in einer überwältigenden Art schmerzhaft spürbar, greifbar und konkret.
Die Mutter als letztes Brückenteil zwischen dem früheren Dasein als Kind und dem jetzigem erwachsenem Leben, sie gehört zur absoluten Risikogruppe. Distanz zu wahren, unwiderbringliche Zeit zu verlieren, sie und andere zu schützen durch Trennung, durch Distanz – kann es Schlimmeres geben?
Heute kam eines meiner Enkelkinder kurz ins Haus gelaufen. Ein kleines Ostergeschenk für Oma und Opa in der Hand. Die Worte seiner Mutter im Ohr, auf die ansonsten stürmische Umarmung zu verzichten. Abstand wahrend. So ein lieber, disziplinierter kleiner Mensch.
Und wisst ihr, was mich plötzlich umtrieb?
Der Schmerz in meinem Herzen wuchs ins Unermessliche als ich an all die Kinder, an die Eltern, an die Großeltern dachte, die überall auf der Welt dieses Erleben von Distanz zu ihren Lieben dauerhaft aushalten müssen. Auf der Flucht, getrennt oder als Waisen völlig alleine. Für uns wird die Zeit der Distanz hoffentlich bald zu einem Ende kommen.
Die Welt nach Corona wird nicht mehr dieselbe sein wie vorher?
Was nehmen wir mit an Erinnerungen. Lassen wir zu das unsere Erkenntnisse uns verändern?