Fühlt ihr euch auch wie im Film?

Unglaublich – dies ist ein zwischen mir und meiner Frau oft benutztes Wort in diesen Tagen. Unglaublich! Es ist, als wenn man einen Film schaut und doch selber darin mitspielt. 

Verlassene ruhige Straßen. Gespenstische Ruhe in den Siedlungen. Die Vögel haben wenig Lärmkonkurrenz bei ihrem Gesang. 

Beerdigungen sind in meiner Heimat sonst wichtige und würdige Veranstaltungen. Sehr oft mit vielen anteilnehmenden Menschen. Jetzt werden diese schnell, intim in kleiner Runde absolviert, fast wie in der Großstadt.
Unwirklich anmutende Nachrichtensendungen in denen gezeigt wird, wie Leichen mit Gabelstaplern in Kühllaster geschoben werden. Waren dies nicht üblicherweise Szenen für Gruselfilme? 

Talk Shows mit Akteuren die jetzt auch räumlich und nicht nur inhaltlich große Distanzen haben und ein Studio ohne Zuschauer. In einer durchökonomisierten Show- Medienlandschaft bisher unvorstellbar

Das bisher als normal empfundene Leben, fast eingefroren und in Zeitlupe!

Ich fragte mich schon oft, mit was die ganzen Menschen ihre Zeit, ihr Leben so befüllen. Was sie so den lieben langen Tag tun oder getan haben. Manchmal vermutete ich wirklich merkwürdige Dinge und Beschäftigungen. Doch was machen diese Menschen jetzt eigentlich? 

Die Wünsche, Planungen und Themen, die gestern noch ganz oben rangierten (Urlaub; Events; Shopping; Partys; neues Auto etc.) rutschen angesichts der elementaren Fragen weit nach hinten.  Dorthin wo sie eigentlich auch dauerhaft hingehören.
Doch was wird passieren, wenn dieser Film endet?  

Natürlich gibt es auch einiges, was gleich bleibt und sich nicht ändert. Die unappetitlichen und bornierten Menschen sind noch genauso unangenehm wie vorher. Sie sortieren ihre jetzigen Erlebnisse in die Regale ihrer Echokammern ein. Die Gleichgültigkeit gegenüber anderen Menschen, der Hass aus ihren Statements verbreitet noch genau denselben üblen Gestank wie vor Corona.

Die Mehrheit der mitfühlenden netten Menschen sind offenbar noch netter und emphatischer geworden?  Pflegekräfte, bis zur Verkäuferin, die vorher bestenfalls zur Kenntnis genommen wurden, sind plötzlich bejubelte Held*innen (wie lange noch?)

Die etwas einfältigeren unter uns Menschen verfangen sich nach wie vor in den vielen Lügengeschichten, den Verharmlosungs,-  oder andererseits in Katastrophenlegenden. 

Die nachdenklicheren reiben sich ungläubig die Augen. Was plötzlich alles so geht…..?!

Man muss sich nur einmal vor Augen halten, dass es in Frankreich vor einigen Monaten wegen etwas höherer Dieselkosten eine riesige „Gelbwestenbewegung“ gab. Brennende Barrikaden im Zentrum von Paris. Blutige Zusammenstöße!
Der Wutbürger war unkalkulierbar. Man durfte ihn nicht reizen? Ein einfaches Tempolimit auf Autobahnen? Undenkbar! So etwas würde diesem Land eine Zerreißprobe auferlegen! 

Heute gibt es Ausgangsbeschränkungen, Sicherheitsabstände.
Staatlich veranlasste Einsamkeit.
Bei der Bekämpfung dieser Seuche werden gesellschaftliche Kräfte mobilisiert und Weichen gestellt die bei der uns alle ebenfalls bedrohenden Klimakatastrophe unvorstellbar wären.  In der Seuchenbekämpfung schauen wir vertrauensvoll auf die Wissenschaftler, hören ihnen zu und akzeptieren ihre Warnungen. Warum tun wir dies nicht auch beim Klima? 

Dort treffen wissenschaftlich fundierte Warnungen auf große Gelassenheit.
Sicherlich,  der Virus ist eine Gefahr für jeden einzelnen, für die Großeltern, die eigene Familie. Die Gefahr ist konkret.
Die Klimakatastrophe ist in vielen Köpfen eher eine Gefahr für die nachfolgenden Generationen. Ist es fair hier zwei Maßstäbe anzulegen? 

Klimaveränderungen töten auch schon heute. Da dieses stille, ungerechte, erbärmliche, brutale und massenhaftes Sterben uns aber erst einmal nicht direkt betrifft und abseits der großen Reportagen stattfindet, findet es irgendwie für uns auch nicht statt?!

Vor dem Virus fürchten sich letztendlich alle, vor der kommenden Klimakatastrophe leider nur die Vorausschauenden, mit Weitblick beschenkten Menschen?

Vielfach kursieren im Netz tiefsinnige Betrachtungen zum Virus. Es wird eine Art Sinnsuche betrieben. Doch dieser Virus ist keine Rache der missbrauchten Schöpfung an uns Menschen. Dieser Virus ist auch nicht die Strafe für die Globalisierung.
Epidemien gab und gibt es immer wieder. Wir Menschen werden von Anbeginn der Zeit begleitet von schlimmen Seuchen. Millionen lassen dabei Tag für Tag ihr Leben. Wir haben Pest, Cholera, Pocken, Lepra und Grippe erlebt.
Und nebenbei bemerkt, – die Impfgegner bereiten die nächsten Seuchen vor.

Diese Seuchen dauerten früher nur sehr viel länger bis diese überall ankamen. Und wir wussten nicht voneinander. Die Globalisierung kann man leicht verdammen, doch sie bietet Milliarden von Menschen überhaupt eine Chance am Wohlstand teilzunehmen. Deshalb wird dieser Virus die Globalisierung auch nicht stoppen.

Allerdings spüren wir die große Verletzlichkeit dieser globalen Ökonomie. Wir lernen, dass es in einer kleiner gewordenen Welt mehr Verantwortung füreinander haben.

Wie bei der kommenden Digitalisierung ist auch die Globalisierung nicht per se gut oder schlecht. Es kommt ausschließlich darauf an was wir daraus machen. 

Zurück zu unserem Film.
Ich erlebe viele Menschen die, herausgerissen aus der Hetze des Tages, ihre Verletzlichkeit spüren.
Fragen brechen hervor an den langen Tagen und in den ruhigen Nächten. Selbstverständliche Sorgen um die Arbeit, um das Einkommen, um all die Fragen der täglichen Existenz.
Aber eben auch, manchmal in ungelenke Worte gekleidet, sehr tiefgehende Fragen.
Wie sieht mein Leben, wie sieht meine Arbeit morgen aus? 

Auf der Straße entwickeln sich, in gebührendem Abstand, Gespräche über die Zeit nach der Krise. Was wird bleiben? 

In der Politik erleben und genießen wir sachliche Diskussionen statt lärmendem Streit und persönlichen Verunglimpfungen und Verletzungen. Wird Politik nach der Krise wieder in die alten Verhaltensmuster zurückfallen? Werden Parteien, Gruppen, die Medien und wir alle diesen aktuellen Zustand bewahren und schützen, oder aus Lust an der Unterhaltung wieder den Skandal, den lärmenden Streit forcieren?

Werden wir uns die Frage erlauben, ob es so undenkbar ist, dass es Phasen der Ruhe in unseren Wochen geben darf. Dass dies ein Wert an sich ist und es keinen Zwang gibt ständig über die Notwendigkeit von verkaufsoffenen Sonntagen zu philosophieren? 

Wir erleben einen strahlend blauen Himmel ohne unzählige Kondensstreifen von zigtausenden Billigfliegern. Wie finden wir das? 

Wir erleben heute in allen Bereichen eine alternative Wirklichkeit, quasi ein Experiment mit uns allen. Stellen wir uns einmal vor, so ein Experiment für ein anderes, ein entschleunigtes Leben, hätte sich ein Politiker*in in ein Wahlprogramm geschrieben. In den Schlagzeilen des Boulevards wäre er zerrissen worden. Eine Gummizelle würde ihm/ihr empfohlen aber er/sie wäre kaum in einem Parlament gelandet? 

Lehnen wir uns doch einmal zurück und sortieren unsere Erfahrungen und Erlebnisse. Wir haben heute schrecklichen Sorgen. Und doch können wir durch die ergriffenen unglaublichen Corona Maßnahmen, wie durch eine geöffnete Tür, den Blick auf eine andere Zukunft werfen als jene, die bisher so alternativlos erschien.

Fühlt ihr euch auch wie im Film?

Sind wir alle bald am Arsch …?

Nichts steht dem Verfall so nahe wie die Blüte.Und so wie in der Natur, so ist es auch in der Wirtschaft.

Brutal erwischte das Corona Virus ein tiefenentspanntes  Europa.Die jetzt schon erkennbaren Folgen, die medizinischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Kosten der Coronakrise werden wahrscheinlich alptraumhaft.
Dagegen werden sich die Auswirkungen der Finanzkrise 2008 wie Peanuts ausnehmen.

Ob es zu einer sehr langen ökonomischen Eiszeit kommt? Vieles spricht dafür. Doch Gewissheit hat wohl nur, wer eine funktionierende Weissager Glaskugel besitzt,
Wir stehen gruselnd vor einer gigantischen Nebelwand in der sich viele Fragen und Probleme verbergen.

  • Dieses Virus ist neu.
  • Wir kennen es kaum.
  • Wir wissen nicht, wie es sich weiter verhalten wird.
  • Wir wissen nicht wie sich die Krankheit bei uns ausbreiten wird.
  • Wir können nur erahnen, welche Maßnahmen die betroffenen Länder um uns herum noch ergreifen werden.
  • Wir wissen auch nicht, was diese Zeit mit uns allen, der Gesellschaft, der Politik und der Wirtschaft machen wird.

Neben dem prognostizierten wirtschaftlichen Crash, wäre es natürlich auch denkbar, dass die Pandemie in wenigen Wochen abgeklungen sein wird. Das der Sommer eine Aufholjagd zurückgestellter Geschäfte und Arbeit würde.
Statt Krise käme es zu Aufschwung?

Sind wir alle bald am „Arsch“ (Entschuldigung für diesen Begriff) oder schauen wir demnächst belustigt auf unsere heutige Angst?

WIR WISSEN ES EINFACH NICHT!

Mit ziemlicher Sicherheit werden wir uns zwischen diesen beiden Extremen wiederfinden. Auch schon schlimm genug.

Eine Prognose gefällig?
Es wird uns massiv treffen. Ganze Märkte brechen jetzt schon zusammen. Viele Betriebe sind heute schon am Limit. Und das ist erst der Anfang.
Die Ausgangsbedingungen sind gegenüber 2008 um ein vielfaches schlechter:

  • Das Vernichtungspotenzial der Corona Krise ist um ein zigfaches höher.
  • Die weltweiten Schulden sind beträchtlich größer als bei der Finanzkrise 2008.
  • Die Notenbanken haben kaum noch Spielräume. Die Zinsen sind ja schon bei null.
  • Wir haben uns alle zu lange in großer Sicherheit gewähnt und haben unserer Hausaufgaben nicht gut genug gemacht (Digitalisierung; Flexibilisierung; Qualifizierung; Bildung).
  • Die Nationen arbeiten nicht mehr zusammen. Es herrscht ein ausgeprägter Geist des gegeneinander (Nationalismus und Protektionismus)

Es gibt in der Natur einen interessanten Effekt.
Es nennt sich Hysterese.
Setzt man ein Metallstück für längere Zeit einem Magnetfeld aus, bleibt dieses Stück Eisen auch magnetisch, wenn der Einfluss verschwunden ist.
Materie scheint ein Art von Gedächtnis zu haben. Es hat sich durch einen solchen Einfluss verändert und kehrt nach einem solchen Schockerlebnis nicht wieder in den Ursprung zurück.

Was hat das nun mit unserer Situation heute zu tun?
Die Erlebnisse der letzten Wochen erscheinen uns fast unglaublich. Ein Horror der sich vor unseren Augen entwickelt. Viele wünschen sich möglichst schnell die alte „Normalität“ zurück.
Doch dies wird aller Voraussicht nach nicht geschehen. Vieles wird nach den Schrecken dieser Monate völlig anders sein als zuvor. Und dies für eine sehr sehr lange Zeit.
Wir werden nicht wieder in das bisherige alte Gleichgewicht zurückkehren.

Die Erfahrung der letzten Krisen zeigen, dass auch dann, wenn die Wirtschaft wieder in Schwung kommt, es keine Rückkehr auf den vorherigen Stand gibt. Geschäftsfelder werden kritischer überprüft. Die Neueinstellungen entsprechen nicht den vorherigen Kündigungen. Die Kapazitäten und die Qualifikationsanforderungen an die Belegschaften werden differenziert und  skeptischer in Augenschein genommen. Während der Erholung erinnern sich Menschen und Strukturen kritisch an die Erlebnisse in der Krise.

Wirtschaftliche und soziale Hysterese eben.

Wir werden nach der Corona Krise eine völlig veränderte wirtschaftliche Welt vorfinden.
Bei der Finanzkrise 2008 hat man erschrocken festgestellt, welche Fehlentwicklungen im Finanzsektor entstanden waren. Nach der Rettung der Banken durch die Gesellschaften gab es viele Veränderungen, die man vorher für unmöglich gehalten hätte. Gesetzliche Regulationen (die vorher unvorstellbar waren) wurden beschlossen.

Jetzt steht die reale Wirtschaft im Feuer. Und plötzlich zeigt sich, wie verletzlich auch die produzierende Industrie letztendlich ist.

Das durch den öffentlichen verordneten Stillstand des Landes viele Betriebe die vom Inlandskonsum leben, schnell in existenzielle Probleme kommen würden, war nicht verwunderlich. Kaum einer hätte sich auf so ein Ereignis vorbereiten können.
Doch schon als der Virus nur in China tobte, war es irritierend wie viele Liefer,- und Wertschöpfungsketten abrupt zusammenbrachen.

Wenn wir nach dieser Krise die Trümmer unserer Wirtschaft aufräumen müssen, dann gilt es Lehren aus der aktuellen Zeit zu ziehen.

Wir werden nach Corona die produzierende Realwirtschaft aufwändig stabilisieren, festigen und entlasten müssen.
Viele Familienunternehmen werden alle Hände voll zu tun haben um ihre Betriebe zu erhalten oder neu aufzubauen.
Die Realwirtschaft ist kein zu belächelndes Relikt aus einer alten Weltordnung, sondern, oft genug vergessen, die Basis unseres gemeinsamen Wohlstandes. Eine reine Dienstleistungsgesellschaft wird dies nie leisten können.
Und es gibt für diese reale Wirtschaft zeitlose Grundsätze, die manchmal als altmodisch belächelt werden, aber neu entdeckt werden sollten.

Wer sich z.B in unserem Land schnell und nachhaltig unbeliebt machen will, der bekennt sich zur Notwendigkeit von Gewinnen.
Wer schnell in bestimmte Schubläden geraten will, der bekennt sich zur Notwendigkeit von Vorsorge und der Bildung von sogenannten unternehmerischen „Kriegskassen“.
Die Tugenden des guten Kaufmanns wurden belächelt.
An den Börsen und in den Medien wurde denjenigen applaudiert, die ganz hart am Wind segelten und keinerlei Finanzmittel brachliegen hatten. Überschüssiges Geld wurde nicht für schlechte Zeiten zur Seite gelegt. Es gehörte ausgeschüttet!
Es wurde für alles mögliche verwendet. Tantiemen, Prämien und Boni.
Für schlechte Zeiten oder für Zukunftsinvestitionen blieb zu oft zu wenig übrig.
Heute kann man diese Börsenlieblinge bei den Bettelgängen zu den Regierungen beobachten.

Wir sollten uns aufgrund der fragilen Lieferketten und der ausgehungerten Lagerhaltungen fragen, ob die  Auswüchse der „Lean production“ die aktuellen Probleme rechtfertigen.
Sind wir bereit so hohe Abhängigkeiten in unserer Industrie oder bei der Herstellung lebensnotwendiger Medikamente zu akzeptieren?

Wir stellen erschrocken fest, welche katastrophalen Auswirkungen der Ausfall eines einzigen Zulieferers haben kann. Im besten Fall verzögert sich die Produktion um Wochen. Die zeitlich und logistisch fein aufeinander abgestimmten Produktionsprozesse kommen abrupt zum Erliegen. Die komplexen Konstruktionen fallen in sich zusammen.

Da wir immer wieder mit solchen Krisen konfrontiert sein können, (was wir gerne verdrängen) gilt es die jetzt erkannten Schwachstellen kritisch zu kontrollieren.

Lagerhaltung wurde bis tief in die Supermärkte hinein wegökonomisiert (Toilettenpapier, Nudeln und Mehl lassen grüßen). Der Schutz vor Unerwartetem spielte keine Rolle mehr. Dies rächt sich heute.

Wie schrieb N.Taleb „ Es ist öknomisch wenig sinnvoll zwei Nieren zu haben, doch wenn eine ausfällt, weiss man diese Verschwendung zu schätzen“.

Was wird also nach der Corona Krise sein?

Vielleicht die Einsicht das die produzierende Realwirtschaft zusätzliche Polster benötigt. Ob in Form von Waren oder Geld. Und das diese Vorsorgen uns allen etwas wert sein sollten. Wie können wir solche Vorsorgen fördern?

Es wäre falsch die Globalisierung jetzt zu verdammen. Diese hat vielen Ländern erst eine Chance im weltweiten Handel gegeben. Doch wir müssen auch erkennen, dass die Wirksamkeit einer globalen Arbeitsteilung auch fragil sein kann. Alle beteiligten Staaten müssen Spielregeln auch in Notzeiten einhalten! Ohne diese Grundregel herrscht wirtschaftliche Anarchie.
Das diese Selbstverständlichkeit in Zeiten blühenden Nationalismus und Protektionismus nicht mehr zwingend vorausgesetzt werden kann, das erkennen wir heute.

Daraus gilt es wirtschaftliche und politische Schlussfolgerungen zu ziehen.

Sind wir alle bald am Arsch …?

Mutig an der Ems!

Genau heute vor 45 Jahren begann mein Arbeitsleben auf der Meyer Werft. Wow – was waren das für Jahrzehnte. Prallgefüllt mit unglaublichen Erlebnissen. So viele beeindruckende Menschen die ich erleben durfte. Und doch hätte ich es mir nicht träumen lassen an just diesem Tag gemeinsam mit allen Kolleginnen und Kollegen vor der vielleicht schwersten Krise nach dem zweiten Weltkrieg zu stehen. Der Blick nach vorne ist voller Sorge und vielen Fragen.
Unsicherheit macht sich breit. Noch haben es nicht alle verstanden welche Herausforderungen jetzt vor uns liegen.

Gestern Abend fiel mir meine Jubiläumsrede von 1995, also einige Zeilen von vor 25 Jahren in die Hände. Beim Lesen habe ich mir gedacht das vieles von dem was wir uns bei der 200 Jahr Feier auf der Alten Werft versprochen haben, auch heute noch gilt.

Vielleicht viel Spaß beim Lesen 🙂
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Rede anlässlich der Jubiläumsfeier der Meyer Werft am 28.Januar 1995

Sehr geehrter Herr Bundeskanzler Kohl, sehr geehrter Herr Minister Habibie, sehr geehrter Herr Minister Fischer, sehr geehrte Gäste, liebe Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrte Familie Meyer.

Im Namen meiner Kolleginnen und Kollegen begrüße ich Sie alle ganz herzlich und bin so stolz, dass hier an dieser Stelle unsere Jubiläumsfeier stattfindet.   Hier an dieser Stelle, an der Generationen von Menschen unseren Betrieb, unsere Werft gemeinsam aufgebaut, sie stark und groß gemacht haben.  Hier an dieser Stelle, wo unsere Werft geboren wurde, wo Kraft, Ideen und alle Energie der Inhaber, des Managements und der Belegschaft schon immer gebündelt wurden, um Erfolg zu haben, Arbeit zu sichern, um zu beweisen was wir können.  Wir sind so unendlich froh, das es uns vergönnt ist diese Feier mit Ihnen allen zu begehen. Wir sind froh und dankbar, dass wir heute an dieser uns so vertrauten Stelle keine Ruine haben, sondern Feste feiern und Versammlungen abhalten können.

Liebe Gäste. Bei einem solchen Jubiläum schlägt man sich gerne selbst auf die Schulter, aber wir könnten kein Jubiläum feiern, wenn wir nicht unsere Kunden hätten. Unsere Kunden, die uns schätzen, die uns mögen und die uns vor allem vertrauen. Wir wissen, dass dieses Vertrauen und diese faire Zusammenarbeit keine Selbstverständlichkeit ist. Verbundenheit zeigt sich insbesondere in schwierigen Zeiten! Unser ganz besonderer Dank ist deshalb keine leere Floskel, sondern kommt tief aus unseren emsländischen und ostfriesischen Herzen.

Sehr geehrter Herr Minister Habibie, liebe Freunde aus Indonesien. Es gibt keine stärkere Verbindung wie jene zwischen Menschen, die sich mögen. In der Zusammenarbeit zwischen unserer Belegschaft und unseren Indonesiern (ja sie sind schon richtige Papenburger geworden und der eine oder andere kann auch schon das eine oder andere plattdeutsche Wort) ist Freundschaft und Sympathie entstanden. Meine Kollegen arbeiten wirklich gerne für Sie und wir mögen Sie einfach sehr gerne. Was soll man mehr sagen? Wir bedanken uns für ihr Vertrauen.

Liebe Gäste und Freude von Celebrity Cruises, liebe sehr geehrte Familie Chandris. Meine Kollegen danken auch Ihnen ganz herzlich für Ihr Vertrauen in unsere Leistungsfähigkeit. Wir wissen um ihre Träume, ihre Erwartungen und Wünsche an ihre Traumschiffe aus Papenburg.  Und diese Belegschaft, liebes Celebrity Cruises Team, verspricht ihnen die Erfüllung dieser Erwartungen.

Liebe Gäste von P&O. Dass wir die ORIANA bauen, das wurde von uns allen von ganzem Herzen gewünscht und erkämpft. Dass Sie uns den Bau dieses wunderschönen Schiffes anvertrauten – wir sind so stolz und glücklich.  Wir haben für die ORIANA all unser Können aufgeboten.

Liebe Freunde, liebe Gäste. Unsere Heimat, alle Emsländer, alle Ostfriesen und nicht nur meine Kolleginnen und Kollegen erfreuen sich an unseren Schiffen, die nicht nur schön aussehen, sondern reinste Hochtechnologie sind. Glauben Sie uns lieber Herr Bundeskanzler – wir sind haben für uns entschieden mit diesen Schiffen zu beweisen, was in uns steckt. Dass wir viel viel mehr können und daß wir auch mehr wollen, als nur Touristenziel zu sein oder schwarzbunte Kühe zu züchten.  Wir sind die älteste Werft mit der weltweit jüngsten Belegschaft (im Durchschnitt 34 Jahre) und wir bieten einer übermächtigen Konkurrenz selbstbewusst die Stirn.  Wir lassen uns nicht unterkriegen.  Wir alle bringen uns viel mehr ein als es vielleicht üblich ist. Wir sind ein Team, wir sind geschlossener und entschlossener als alle anderen um den Erhalt dessen wofür wir alle hart gearbeitet haben zu sichern. Doch nur mit der Gegenwart geben wir uns nicht zufrieden.

Wir wollen eine gute Zukunft für unsere Kinder,  wir wollen eine gute Zukunft für unsere Heimat. Belegschaft und Management arbeiten hart und Hand in Hand für eine erfolgreiche und überlebensfähige Werft und viele neue Industriearbeitsplätze.  Wir wollen einen Ausbau dieser Werft mit noch mehr Arbeitsplätzen bei uns aber auch bei noch mehr Zulieferern aus der Region.
Wir glauben so sehr an die Zukunft der Schifffahrt und des Schiffbaus, an die Zukunft am, im und um das Wasser herum. Wir erfreuen uns so sehr an unserer Arbeit, die zufrieden macht, die Sinn hat, auf die wir stolz sind, dass wir jeden, der zu uns kommt, zu einem Missionar in unserer Sache machen möchten.

Wenn man weiß, was Schiffbau für einen Schiffbauer bedeutet, dass Schiffbau nicht nur ein Beruf, sondern eine Berufung ist – (wir bekommen ja deshalb eigentlich auch keinen Lohn sondern Gage –) ….. Wer also weiß was uns Schiffbau bedeutet, der kann auch verstehen, wie einem das Herz blutet, wenn man an die zu vielen verlorengegangenen Arbeitsplätze z.B bei Janssen in Leer oder Sürken in Papenburg denkt. Viele dieser Kolleginnen und Kollegen haben auf unser stärker gewordenen Meyer Werft eine neue Existenz gefunden.

Wenn – wie die Japaner und Koreaner es glauben – das Wasser und damit all das, was mit Wasser zu tun hat, die Zukunft ist, dann soll diese Zukunft nicht nur in Tokio, nicht nur in Korea, dann soll diese Zukunft auch hier bei uns in Deutschland und dabei natürlich insbesondere hier in Papenburg stattfinden.  Das ist unser erklärtes Ziel von dem wir nicht ablassen.

Für die Zukunft zu sorgen heißt auch, das Ziel der Beschäftigung von Menschen und den wirtschaftlichen Erfolg ganz oben anzustellen.  Wir als Belegschaft wollen dabei nicht nur Zuschauer sein. Es ist unsere gemeinsame Vergangenheit die wir heute feiern, und wir wollen mit all unseren Fähigkeiten, mit all unseren Kräften und Ideen die gemeinsame, die ökonomische und die soziale Zukunft mitgestalten.

Die Schwierigkeiten der letzten 200 Jahre waren gigantisch und manchmal ist es gut und notwendig sich bei unserer gegenwärtigen Verzagtheit daran zu erinnern, um zu erkennen, dass Probleme immer bewältigt werden können. Dies lieber Herr Bundeskanzler gilt im Übrigen nicht nur für die Werft, sondern für unser ganzes Land – oder?
Der Pakt, der uns die letzten 200 Jahre überleben ließ, die faire Zusammenarbeit der Unternehmensleitung, der Belegschaft, des Betriebsrates und der IG Metall auf und für die Werft, er bietet auch die Chance für weitere lange und erfolgreiche Jahre. Die Unternehmensleitung muss Aufträge heranholen, muss Kunden gewinnen und behalten. Die Politik muss für gleiche und faire Rahmenbedingungen sorgen. Mittelmanagement und Belegschaft stehen in der Verantwortung den Betrieb in der Praxis immer schlagkräftiger, noch qualifizierter und immer produktiver zu machen. Daran gibt es keinen Zweifel. Diesen Aufgaben stellen wir uns als Belegschaft und als Betriebsrat. Wir stellen uns diesen Herausforderungen gerne, weil es viel mehre Spaß macht nach vorne zu schauen, nach vorne zu gehen, an sich zu glauben, sich an den eigenen Wünschen und Träumen zu berauschen, hungrig auf die Zukunft zu sein, als abzuwarten, nur gebannt auf mögliche Gefahren zu starren und erst auf Herausforderungen zu reagieren, wenn es schon zu spät ist.
Das ist nicht unsere Art hier im Emsland und in Ostfriesland.

Vielen vielen Dank. Dass Sie alle gekommen sind. Feiern Sie schön mit uns und vor allem. ….. werden Sie nach unserer Jubiläumsfeier unsere Missionare!

 

Mutig an der Ems!