Ich sterbe aus!

Der Chefredakteur einer großen Zeitung rief mich vorletzte Woche an. Ausnahmsweise war der Fokus des Kontaktes mal nicht die Krise im Kreuzfahrtschiffbau.
Seine Zeitung plane mit einigen anderen zusammen eine neuaufgelegte Story über die nach wie vor geringen Chancen von Arbeiterkindern für akademische Laufbahnen. Insbesondere durch die zu erwartenden wirtschaftlichen Folgen der Corona Krise sei diese alte Fragestellung politisch wieder hochaktuell.
Lebensläufe wie meine, vom Facharbeiter in die Geschäftsleitung, seien extrem selten geworden. Ich gehöre quasi einer aussterbenden Spezies an.
Einig seien sich die Redaktionen darin, dass solche Biographien zukünftig äußerst unwahrscheinlich seien.
Ich stimmte dieser These, angesichts der mir bekannten Stellenausschreibungen auch zu. Doch die Selbstverständlichkeit dieser Feststellung, machte mich im Rückblick auf dieses Gespräch auch nachdenklich.
Die geringe Chance von „Nichtakademikern“ für Karrieren ist kein Naturgesetz.

Dies ist eine bewusste und daher kritisch zu hinterfragende Entscheidung von Gesellschaft, Politik und den Betrieben.
Nicht selten wird über die Chancen auf akademische Laufbahnen aus sogenannten „Bildungsfernen Schichten“ berichtet. Das ist die eine Perspektive.

Doch über die unbekümmerte Feststellung, dass Karieren zukünftig ohne Studium kaum mehr stattfinden können, wird kaum geredet. Auf diesem Auge sind wir blind. Viel wird über die Chancen bzw. Benachteiligungen von so vielen Gruppen unserer Gesellschaft geredet. Über die Chancen hinsichtlich Geschlecht, Hautfarbe, Nationalität, sexueller Orientierung oder Religion.

Doch die von mir beschriebene Verschiebung der Karrierewege für die Gruppe der „Nichtakademiker“ scheint „unsexy“ und uninteressant zu sein. Handelt es sich hierbei doch nur um „normale“ Leute?!
Ist unsere Gesellschaft, unser Land sind unsere Betriebe da wirklich auf dem richtigen Weg?
Welchen Wert messen wir erworbenen Fertigkeiten, Fähigkeiten und der Intuition als Summe der Erfahrung in der Arbeit und im Leben zu?
Wenn unwidersprochen bleibt, dass Menschen ohne Studium heute kaum mehr Chancen auf Spitzenpositionen haben, ist das eigentlich akzeptabel?

Ich sterbe aus!

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