Lob – nein bitte nicht!

Ich schreibe seit mehreren Wochen an Weihnachtskarten und Briefen. Da ich der „Dinosaurier Generation“ angehöre, skizziere ich Gedanken und Wünsche an meine Gegenüber mit handgeschriebenen Zeilen.

Dabei gelange ich immer wieder an folgende gedankliche Klippe.

Jeder meiner Adressaten freut sich über gute Wünsche. Und sicherlich über die Anerkennung einer fairen und wenn es optimal läuft, freundschaftlichen Zusammenarbeit.
Doch steht es mir tatsächlich zu auch Lob zu äußern?

Unabhängig davon, dass ich persönlich in meinem Leben Lob und Anerkennung extrem selten bekomme, so lobe ich selber doch oft und gerne andere. Ich habe ein gutes Gefühl dabei. Und doch frage ich mich, ob es die beste Form der Anerkennung ist?

Persönliche Erlebnisse aus verschiedenen „Coachings“ bestärken mein Unwohlsein. Bei diesen Zusammenkünften war das Ziel eindeutig. Es wird zur Verbesserung des miteinander ein Lob ausgesprochen. Eigentlich kein schlechter Ansatz.
Doch in der Reflexion entsteht bei mir kaum anhaltende Freude. Stattdessen wachsen  Fragen. War das Lob ehrlich gemeint? Der mich so lobende kennt doch nur einen Bruchteil meiner Arbeit, Träume und Realitäten. Wie kann man dann seriös loben? Misstrauen über die Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit eines Lobes wuchern stets im Verborgenen. Und ist derjenige, der ein Lob ausspricht, auf Augenhöhe mit mir?

Steht Lob nicht häufig im Zusammenhang mit einer Beurteilung? Derjenige, der lobt, nimmt für sich in Anspruch eine Situation zu bewerten und zu „beurteilen“. 
Kann er/Sie sich das herausnehmen?
Wie ich an mir selber feststelle verändert Lob oft die „Augenhöhe“. Lob schafft alleine kein nachhaltiges Vertrauen, sondern nur ein momentanes Wohlgefühl.

Ich habe meine Weihnachtsbriefe der letzten Jahre nochmals dahingehend kontrolliert. Konnte ich mir erlauben, die Leistung meiner Adressaten zu beurteilen?

Was passiert mit einem Lob, wenn der oder diejenige gar kein gutes Gefühl bei ihrer Arbeit hatte? Und sind Lob und Komplimente nicht meist recht oberflächlich und schnell eben dahergesagt? Wird oft nicht mal schnell das aktuelle Ergebnis oder ein momentanes Verhalten „beurteilt“? Das ist doch wenig nachhaltige Anerkennung und kaum zielführend für beide Seiten.
Kann es nicht sein das es andere, bessere Wege gibt, um Wertschätzung auf Augenhöhe auszudrücken?

Um nicht missverstanden zu werden.  Das loben gehört nach wie vor zum menschlich normalen Miteinander. Persönlich kann man da sehr konkret sein. Wenn man z.B ungezwungen und unmittelbar, am richtigen Ort, in der richtigen Situation, ein Verhalten oder ein Aussehen etc. wahrnimmt und kommentiert. Dies erzeugt ein Wohlgefühl.

Und wieder der Blick auf mich selber. Da ich versuche das Leben und meine Gedanken in Worten zu reflektieren, gibt es dazu verschiedene Arten der Rückmeldung. Diese wiederum  lösen bei mir unterschiedliche Reaktionen aus.
Da gibt es einmal die Ablehnung meiner Gedanken und Beiträge. Manchmal weil ich einen Stil pflege, der nicht „einstudiert“ ist. Ich bin eben immer noch ein Arbeiterkind. Die Gedanken und die mir eigene Sprache, wurzeln in meiner Herkunft und spiegeln irgendwie meinen Lebenslauf wieder. Dies ist ganz sicherlich nicht jedermanns Sache.
Dann gibt es den jovialen Schulterklapps „Gut gemacht“.

Doch ich bekomme auch Reaktionen und Schreiben, die für mich von großem Wert sind. Der Kern dieser Antworten kreist fast immer um den Begriff Dankbarkeit. Und dies auch dann wenn sie kritisch sind.

Dankbarkeit ist völlig anders und geht viel weiter als ein Lob.
Bei mir kommen nicht die lobenden Reaktionen in die „Schatzkiste“ sondern jene wo mir Menschen schreiben das sie z.B meine Handlungen, die Gedankensplitter oder meine Hinweise als Denkanstöße empfangen haben und sich dafür bedanken. Sie müssen gar nicht meiner Meinung sein. Sie setzen sich mit Gedanken auseinander. Wie schön!
Dies ist meines Erachtens die respektvollste Form von Anerkennung.

Dankbarkeit zu identifizieren,  einzusortieren und auszudrücken ist wesentlich aufwändiger als der Griff in die Schublade mit den Lobbausteinen.
Eine solche Form der Wertschätzung ist nicht elitär und gönnerhaft, sondern ein Austausch  auf Augenhöhe.

Und wie schön es doch ist, dass man den Wert und den Nutzen dessen, was man als wertvoll empfindet, in den Mittelpunkt stellt!
Ich werde also meine Weihnachtsbriefe neu fassen und versuchen, ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Lob und aufrichtiger Dankbarkeit zu finden.

Lob – nein bitte nicht!

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