Helmut Kohl hatte etwas gegen Rot.

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Nach der Jubiläumsfeier zum 200-jährigen Bestehen der Meyer Werft besichtigte der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl die Werft.

Ich gehörte nicht zu den Fans des Kanzlers. Und doch habe ich an diesem Tag den CDU Vorsitzenden von einer Seite kennengelernt, die mich nachhaltig beeindruckte.

Da war einerseits sein unverstelltes aufrichtiges Interesse an allem und an jedem.
Und des Weiteren seine Unaufgeregtheit und der ganz natürlicher Zugang zu den Menschen. Ich hatte in den vielen Jahren auf der Werft schon alle möglichen Kategorien von Politikertypen kennengelernt.
Doch es war schon sehr beeindruckend wie Helmut Kohl ohne viel Aufhebens aus der vorgegebenen Besichtigungsroute auf der Werft ausscherte, sich zu den Facharbeitern gesellte, mit ihnen ein völlig normales Gespräch begann und echtes Interesse zeigte.
Die Urgewalt des Wahlkämpfers Kohl in Menschenmengen konnte ich mir ziemlich gut vorstellen.

Als wir dann an Bord der Oriana im Restaurant das Jubiläum bei einem Festessen ausklingen ließen, wurde ich zum Tisch des Bundeskanzlers gerufen.
Er wolle mit dem Betriebsratsvorsitzenden anstoßen.

Dieser große massige Mann stand mit zufrieden strahlender Miene vor mir und hatte ein Glas Rotwein in der Hand. Er drückte noch einmal seine Begeisterung über das auf der Werft erlebte aus und wie ihn dieser Besuch eines ganz besonderen Betriebes doch inspiriert habe.

Steht man einer so mächtigen und historischen Person gegenüber, fühlt man Respekt. Ich hielt ihm mein Weinglas entgegen, bedankte mich für seinen Besuch und seine Wertschätzung gegenüber den Kolleginnen und Kollegen.
Eine flapsige Bemerkung sollte meine Nervosiät etwas verdecken das Ganze etwas auflockern. Und so merkte ich an: „Nanu Herr Bundeskanzler Sie und roter Wein? Das hätte ich jetzt nicht gedacht“. 
Seine Erwiderung: „Lieber Herr Bloem. Gegen die Farbe rot habe ich nur in zweierlei Hinsicht etwas. Zum einen ist dies in einer Bilanz und zum anderen in der Politik“.

Im Fechten nennt man einen solchen Punktsieg wohl Touche ?

Helmut Kohl hatte etwas gegen Rot.

Im Roten Meer

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Foto: Thinkstock

1998. Etliche Monate arbeitete ich schon als Sonderbeauftragter in Rostock.
Dezent wurde ich darauf hingewiesen doch auch einmal bei dem Arbeitgeberverband in Erscheinung zu treten. Ehrlicherweise muss ich zugeben, dass ich eine gewisse Scheu davor hatte. Der Wechsel vom langjährigen Betriebsratsvorsitzenden zum Sonderbeauftragten war noch frisch. Ich hatte kein Problem mit der Übernahme unternehmerischer Verantwortung. Dies genoss ich sogar.
Doch irgendwie war der Arbeitgeberverband für mich damals noch ein Fremdkörper. Dennoch begleitete ich unseren Arbeitgebervertreter aus Rostock Herrn Dr. Matz, zu einer großen Konferenz nach Schwerin.

Diese fand unmittelbar nach der Landtagswahl im September 1998 statt. Die CDU war abgewählt worden und es bildete sich eine Koalition zwischen SPD und PDS.  Als Gäste waren zwei hochrangige Vertreter der zukünftigen Landesregierung angekündigt. Der spätere Innenminister des Landes eröffnete die Veranstaltung mit einem kurzen, freundlichen Grußwort.

Im vollbesetzten Saal dauerte es aber nicht lange und nicht enden wollende Breitseiten von Kritik prasselte auf die beiden sozialdemokratischen Gäste ein.
Die beiden nahmen das Sperrfeuer still und reglos hin. Es waren keine Anzeichen von Empörung oder massiver Gegenwehr erkennbar.
Der Frust über die verlorene Wahl brach sich bei vielen Unternehmensvertretern Bahn und steigerte sich von Wortbeitrag zu Wortbeitrag.

Eckhard Rehberg, dessen Volksnähe und direkte Art und Sprache ich sehr schätze, setzte nach und schlug in seiner unnachahmlichen Art gezielte politische Haken die präzise und wuchtig trafen wie die Schläge eines Profiboxers.
Angesichts der Reglosigkeit der beiden Protagonisten in der ersten Reihe lief mir der kalte Schweiß zwischen die Schulterblätter.
Die Beifallsbekundungen waren lautstark und ich erwartete jeden Augenblick eine Laola Welle im Saal.
Der Versammlungsleiter fragte nach Wortmeldungen. Doch es war eigentlich alles gesagt. Und so fiel denn auch mein gestreckter Arm als Anzeige einer Wortmeldung auf. Die Köpfe drehten sich zu mir. Es wurde still im Saal.

„Mein Name ist Paul Bloem. Ich bin Sonderbeauftragter der Meyer Werft für die Neptun Industrie. Fast mein ganzes Arbeitsleben bin ich Gewerkschafter und noch länger bekennender Sozialdemokrat. Vielleicht darf ich darauf aufmerksam machen das in diesem Land eine demokratische Wahl und kein Militärputsch stattgefunden hat?!“ 

Das Schweigen wurde bleischwer. Getuschel und leichtes Murren setzte ein. Meine weiteren Ausführungen hatten etwas mit der strategischen Klugheit zu tun die PDS in die Regierungsverantwortung einzubinden, um sie zu entzaubern.
Als ich endete gab nur wenige Hände, die sich aus Höflichkeit zu einem sanften Klatschen regten. Dr. Matz sah mich entgeistert von der Seite an.

Da es keine weiteren Wortbeiträge gab, wurde die Versammlung mit einigen kurzen und etwas versöhnlicheren Worten an die ansonsten noch immer schweigenden sozialdemokratischen Gäste beendet. Ich packte meine Tasche und bewegte mich in Richtung Buffet.

Und seit der Zeit weiß ich, wie Moses sich im Roten Meer fühlte, als Gott das Wasser für ihn und sein Volk Israel teilte.
Auf dem Weg zum Essen teilte sich die wartende intensiv, lautstark miteinander kommunizierende Menge und ließ eine breite stille Gasse für mich.

Die Blicke sprachen eine eindeutige Sprache. Mein ostfriesischer Querschädel hatte mich ganz offensichtlich wieder einmal in Schwierigkeiten gebracht.

Etwas später auf dem Parkplatz, in der wunderbaren Herbstsonne, überlegte ich was ich jetzt tun sollte. Ich kam zu dem Entschluss, besser Bernard Meyer direkt zu informieren, bevor ein Bericht von der Veranstaltung auf anderem Wege zu ihm gelangte.
Meine Schilderungen quittierte er mit einem „Oh Gott“.

Doch damit war die Episode noch nicht zu Ende.

Ich fuhr gerade auf unser Werftgelände in Rostock als Dr. Klischan, unser damaliger Hauptgeschäftsführer  von Nordmetall, am Telefon war.

Er war bei der Veranstaltung in Schwerin dabei gewesen und war hörbar entspannter als ich. „Dann sind sie ja jetzt unsere Sozialdemokrat im Arbeitgeberverband“ rief er mir lachend zu. „Vielleicht können Sie uns ja helfen, für unser Martinsgansessen aus der neuen Bundesregierung einen prominenten sozialdemokratischen Redner zu organisieren?“.  Dies sagte ich auch zu.

Durch die langjährigen tiefen Verbindungen aus Niedersachsen besaß ich so ziemlich alle wichtigen Telefonnummern der Niedersachsen um den neuen Bundeskanzler in Berlin. So rief ich die Büroleiterin von Gerhard Schröder, Sigrid Krampitz, an.
Nach einem kurzen Small Talk schilderte ich mein Erlebnis in Schwerin und das meine Ehre als sozialdemokratisches Schlachtross jetzt auf dem Spiel stände.
Ich bräuchte irgendwie einen prominenten Sozi Redner für das besagte Martinsgansessen. Sie lachte lauthals über die irre Geschichte und fragte mich unvermittelt – „Was würdest Du denn von Gerd halten“?

Ich fragte, „Moment – Du meinst nicht unseren Gerhard“?

Dies bestätigte sie immer noch feixend. „Er steht neben mir, hat alles mit angehört und der Verband soll ihn mal anrufen. Wenn kein Krieg oder so etwas in der Art dazwischen kommt, dann wird er dort reden“.

Als ich Dr. Klischan davon ca. 5 Minuten später in Kenntnis setzte, fiel diesem fast der Telefonhörer aus der Hand.
Die Terminierung wurde tatsächlich auch organisiert.
Ich hatte meinen Einfluss deutlich gemacht.
Aus irgendeinem Grund, der mir jetzt entfallen ist, platzte der Auftritt aber dennoch.

Eine abenteuerliche Geschichte und ein großer Spaß war das Ganze aber schon.

Im Roten Meer

Ein Urerlebnis …

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Homeric beim Stapellauf 1985

Gerade sehe ich in der Presseschau die Meldung eines Querstapellaufs in Leer. Ein relativ kleiner Tanker lief dort vor knapp zwei Wochen quer vom Stapel.

Bis zur Inbetriebnahme des Baudocks waren Querstapelläufe auf der Meyer Werft, das übliche Verfahren, um unsere neuen Schiffe ihrem Element zu übergeben. Nach langen Monaten harter Arbeit war dies immer wieder ein ganz besonderer Moment. Solch ein „Geburtsvorgang“ eines neuen Schiffes verliert auch durch noch so viele Wiederholungen nie seine Einzigartigkeit. Mit der Homeric haben wir 1985 weltweit Neuland betreten. Es war das größte Schiff, das wir bis dahin gebaut hatten und noch nie zuvor war ein Schiff dieser Größe quer vom Stapel gelaufen.

Unsere Neubauten wurden auf der Helling quasi in zwei Stufen gebaut. Auf dem 1. Hellingbauplatz wurden der Rumpf, wie auch die Aufbauten so weit wie möglich gefertigt. Auch die ersten Ausrüstungsarbeiten begannen.
Im nächsten Bauabschnitt wurde der riesige Rumpf über unzählige Stahlrollen auf Stahlträgern seitwärts auf den 2. Hellingbauplatz verschoben.

Bei der Homeric fehlte damals noch ein Großteil des Vorschiffes (Bug), weil die Länge des Schiffes die Abmessungen des Stahlbauplatzes sprengten.
Dort wurde das Schiff dann weiter ausgebaut und ausgerüstet.

Sobald der Zeitpunkt des Stapellaufs gekommen war, wurde an dem Freitagabend vor dem feierlichen Termin das gesamte Schiff noch einmal seitwärts auf die Gleitschlitten des Stapellaufplatzes geschoben. Diese Gleitschlitten waren riesige keilförmige Auflagen aus Stahl und schwerem Eichenholz. Sie lagen in großen Gleitschienen, deren Auflage mit einer speziellen Schmierseife behandelt wurde. Die Schiffszimmerleute hatten diesen Platz über Wochen vorbereitet und ausgemessen.
Die Schlitten, auf denen das ganze Schiff wenige Stunden vor dem Stapellauf jetzt stand, waren durch massive Stahlklammern mittels hydraulischer Pressen mit den Pallungen (Auflagen) des Bauplatzes verbunden.
An den ca. 25 Schlitten und den Pallungen waren darüber hinaus spezielle Querhalterungen angebracht, die durch ca. 2 cm dicke Taue oftmals umschlungen und so verbunden wurden.

Am frühen Samstagmorgen waren wir zur Werft beordert. Die letzten vorbereitenden Arbeiten wurden durchgeführt. Versorgungskabel mussten gekappt und der gesamte Rumpf, die Gleitschlitten und Pallungen sowie die Helling intensiv kontrolliert werden.

Jedem Gleitschlitten wurden jeweils 2 Mann zugeteilt.
Kurz vor dem Stapellauf bekamen wir unsere Äxte ausgehändigt. Diese waren durch die Kollegen der Schiffszimmerei nochmals geschärft worden.

Auf ein Kommando des Betriebsleiters hin, wurde der Druck aus den hydraulischen Pumpen abgelassen. Wir konnten sodann die Stahlklammern demontieren. Zigtausende Tonnen Stahl bewegten sich nun Zentimeter um Zentimeter ächzend, knirschend und knarrend in Richtung Wasser. Die Taue waren jetzt die letzte Verbindung zum Land. Der Druck war so gewaltig das die Trossen sich um 2/3 verdünnten und um ca. 10 – 15 cm nachgaben. Wir standen schlagbereit an diesen Nabelschnüren unseres Schiffes und warteten auf das Kappkommando.

Sobald diese Anweisung ertönte, schlug der „Hauptkapper“ (Dies wurde vorher verabredet) mit der rasierklingenscharfen Axt in das Tau. Vielleicht hätte manchmal auch schon der Stich eines Taschenmessers in den vibrierenden Stropp genügt. Sirrend, manchmal mit einem scharfen Knall, zerfasserten, rissen, zerfetzten die Leinen und gaben das Schiff frei.

Ein solcher Stapellauf ist dann, wenn man unter dem Schiff steht, ein schlicht unbegreifliches Erlebnis. Man spürt fast körperlich seine Ungeduld, merkt, mit welcher Urgewalt es nach der Befreiung von den Bindungen jetzt seinem Element entgegeneilt.

Doch für Staunen ist keine Zeit, denn es gilt der unweigerlichen Flutwelle zu entkommen, die nach dem Eintauchen auf beiden Seiten des Schiffes entsteht.
Deshalb ist es zwingend erforderlich, dass eine Absprache stattfindet, wer an welcher Stelle auf den Träger springt und über diesen in sichere d.h trockene Zonen flüchtet.

Der ältere Schiffbaukollege, mit dem ich bei der Homeric den Träger teilte, hatte lässig seine selbstgedrehte Zigarette zwischen die Lippen genommen. Er war sichtlich cool und nicht so „hibbelig“ wie ich. Aber tatsächlich war er dann unmittelbar bei dem Kommando zum Kappen mit seinem weggefallenen Feuerzeug beschäftigt.

Ich durchtrennte kurzentschlossen mit einem gezielten Schlag die Taue und sprang mit einem großen Satz auf den Träger. Doch mein Kollege hatte wirklich keinen guten Tag erwischt. Wir erklommen die Pallung an derselben Stelle, stießen zusammen und plumpsten in das Kiesbett zurück. Wertvolle Sekunden gingen verloren. Ca 20 Meter hinter unseren Kollegen erwischte uns das Wasser doch noch und ich bekam nasse Füße.

Doch ärgert man sich über so ein Malheur, wenn man dafür das Erlebnis eines so einmaligen Stapellaufes in die Erinnerung eingebrannt bekommt?

Ein Urerlebnis …

Ich hätte mich schon lange rausgeschmissen …

 

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Immer wieder fällt mir in dieser an Bissigkeiten nicht armen Welt auf, dass eines der effektivsten Entschärfungsmittel für Konflikte die unerwartete, überraschende oder humorige Antwort ist.

Einer der Kollegen am Reparaturdock war ein wirklicher Malocher.
Materialien oder Bauteile mussten unter oft richtig schwierigen Bedingungen zum Schiff transportiert werden. Standen weder Kran noch Gabelstapler zur Verfügung konnte es durchaus sein, dass dieser Kollege auch extrem schwere Transporte auf der Schulter oder mit dem Handwagen durchführte.

Er war Junggeselle, ein geselliger Mensch, sehr bekannt und beliebt bei den Vereinen und Kneipen seines Wohnortes. Doch genauso hart und konzentriert wie er arbeitete, so konnte er auch feiern.

Keinem gemütlichen Beisammensein war er abgeneigt. Sein Verhältnis zum Alkohol war, nun sagen wir mal, extrem entspannt. Dies führte manchmal dazu, dass dies am darauffolgenden Tag gut zu riechen war.

Eines Tages wurde ihm dies, in Kombination mit seinem ganz außergewöhnlichen Arbeitseifer, fast zum Verhängnis. Schwere Stahlstropps lagen an der Dockkante neben einem Reparaturschiff. Und wieder einmal wuchtete der Kollege diese alleine aus einer sehr ungünstigen Position heraus in Richtung wartendem Kranhaken.
Tief beeindruckt muss ihm wohl einer der zuschauenden Schiffsoffiziere auf die Schulter geschlagen und dabei eine Alkoholfahne bemerkt haben. Seine Beschwerde beim Dockmeister führte dazu, das er den Kollegen nach Hause schicken und den Personalchef informieren musste. Am Nachmittag desselben Tages saß dieser mir sichtlich verdrießlich gegenüber.

„Was machen wir denn jetzt? Ich will doch den Mann nicht rausschmeißen. Nur so geht das nicht weiter. Hier trinkt er nicht. Er fehlt auch fast nie. Doch seine immer wieder auftauchenden Feiereinlagen sind ein Ärgernis. Ich muss und werde ihm deutlich die Leviten lesen. Wenn er sich dann entschuldigt und wir vereinbaren wie er sich Hilfe sucht, dann werde ich es bei einer Abmahnung belassen. Können Sie dies so mit ihm besprechen?“

Die Frage war an mich als damaligem Betriebsratsvorsitzender gerichtet.
Am Vormittag des nächsten Tages habe ich dies genauso mit dem Kollegen besprochen. Selbstverständlich habe auch ich nicht mit meiner Kritik gespart.
Unter Alkoholeinfluss zur Arbeit zu erscheinen ginge gar nicht.
Dies bedeutet eine Gefährdung aller anderen. Ich war hinsichtlich der Nachhaltigkeit der Appelle zwar skeptisch, dennoch haben wir gemeinsam einen Termin mit dem Blauen Kreuz vereinbart.
Minutiös habe ich anschließend den Kollegen Schritt für Schritt darauf vorbereitet, was in den darauffolgenden Minuten im Büro des Personalchefs passieren würde und was er tun müsse, um seine Arbeitsstelle zu erhalten.
Nur wenig später saßen wir also genau dort und dieser legte wie besprochen los. Er ließ eine Kaskade von berechtigter Kritik und der Drohung einer Kündigung auf den Kollegen herabregnen. „Was sagen Sie denn dazu?“ So beendete er das Bombardement „Was soll ich denn jetzt mit Ihnen machen?“.

Ein auffordernder Blick von mir an den Kollegen. Jetzt war die im Detail besprochene Entschuldigung und der Hinweis auf die Inanspruchnahme einer Beratung fällig. Doch was sagt der Kollege zum konsternierten Personalchef?

„Ich verstehe sie voll und ganz. Also ganz ehrlich. Wenn ich an Ihrer Stelle wäre, ich hätte mich schon längst rausgeschmissen“.

Mein Gegenüber und ich selber bekamen Schnappatmung. Auf den Argumentationskurven, die der Personalleiter und ich dann fuhren, um dennoch keine Kündigung aussprechen zu müssen, hätte sich eine Schlange das Rückgrat gebrochen.

Als der Kollege, versehen mit einer deutlichen Abmahnung, wieder auf dem Weg zu seinem geliebten Dock machte, haben wir uns erst einmal ausgeschüttet vor Lachen.

Auf so eine Antwort muss man erst einmal kommen.

 

Ich hätte mich schon lange rausgeschmissen …

Mit den Bibel und der Gesangbuch auf das Kopf

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In einem netten Telefonat am heutigen Tag mischte mein älterer Gesprächspartner Begriffe und Grammatik des Plattdeutschen mit der hochdeutschen Sprache. Dies weckte eine Erinnerung an meine Jugend in Wymeer.

Unser Gemeindepastor hatte es nicht einfach mit den Wymeester Lausbuben.
Der Konfirmandenunterricht fand im Gemeindesaal statt.
Dieser Saal war ein mit wenigen Reihen einfacher Holzbänke bestückter großer Raum im ehemaligen Armenhaus.
Die Mädchen saßen in der Regel in den vorderen, die Jungs in den hinteren Bankreihen.
Der Unterricht erschöpfte sich damals im wesentlichen in der Abfrage auswendig zu lernender Verse aus dem Katechismus sowie Psalmen aus dem Gesangbuch.

Der Unterricht war echt langweilig. Abwechslung war immer willkommen. Und einer von uns hatte an einem dieser Tage wieder einmal nichts als Flausen im Kopf.

In der Bank vor uns saßen die Mädchen dicht an dicht.
Eines hatte lange seidig glänzende tiefschwarze Haare, die ihr fast bis zur Hüfte reichten. Ein Junge aus unserer Straße sah, dass die Haare über die Rückenlehne fielen und knotete diese unter derselben zusammen.
Bei der Aufforderung unseres Pastors, die Gesangbücher hervorzuholen, beugte sich das Mädchen nach vorne und merkte schmerzhaft, was passiert war. Ihr Schreckensruf wurde in unserer Bank mit einem amüsierten Kichern quittiert.
Ein Streich war wieder einmal gelungen.

Doch statt dem erwarteten Jammern, Weinen oder lautstarkem protestieren, wurde plötzlich eine Tasche gefüllt mit schweren Büchern wie ein Katapult nach hinten geschwungen. Kiloweise stabiler Buchdruck knallten dem Übeltäter punktgenau und lautstark auf den Schädel. Nun war es an ihm laut schnaufend und stöhnend aufzuheulen.

Wie ein Blitz kam Pastor Schulz herangestürmt und fragte mit funkelnden Augen, was denn jetzt schon wieder los sei. Unser Freund rieb sich den schmerzenden Schädel.

Die korrekte Anwendung der hochdeutschen Sprache lernten wir damals erst in der Schule.  Und so haute unser Freund mit anklagend erhobener Stimme folgende Beschreibung und Beschwerde heraus:
Herr Pastor Herr Pastor sie hat mich mit „den“ Bibel und „der“ Gesangbuch auf „das“ Kopf geschlagen“.

Unser Pastor kam gebürtig aus den Ostgebieten des früheren Deutschen Reiches.
Er hatte schon unzählige Geschichten mit uns erlebt und wusste was er davon zu halten hatte. Resignierend seufzte er kopfschüttelnd und murmelte seinen Protest in seinem typischen unostfriesischem Singsang vor sich her.

Damals war mir dies nicht so bewusst, aber in der Rückschau muss ich dem Gemeindepastor posthum meine Bewunderung für sein formidables Nervenkostüm aussprechen.

Mit den Bibel und der Gesangbuch auf das Kopf

Unterschiede

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So ein Spaziergang im Wald wirbelt die Gedanken hoch.

Es ist immer wieder erstaunlich wie Menschen ein und dieselbe Sache betrachten und zu völlig unterschiedlichen Beurteilungen kommen.

Unser Denken hat ganz offensichtlich viel mit dem persönlichen Erleben der Dinge zu tun.

Zuversicht und Vertrauen wachsen auf dem erlebten Humus von positiver Zukunftszugewandheit, Verlässlichkeit und Loyalität.
Hass und tiefes Misstrauen sind die Krebsgeschwüre von Neid und Wut.

Unterschiede

Versenkt im Hafenbecken

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Auf der alten Werft bauten wir direkt am Hafenbecken in einer kleinen Halle Stahlbausektionen für die Neubauprojekte auf der neuen Werft. Diese Halle konnte auf Schienen auseinandergeschoben werden. So konnten wir die sperrigen Sektionen zum Transport auf einen Ponton legen.

Dazu brauchten wir den großen Hammerkran. Dieses grüne Ungetüm war zuverlässig, robust und uralt. Der Kranführer war ein Kollege mit einem ganz gewaltigen Bauch. Wenn er früh morgens sein Schätzchen aktivierte und schnaufend die Steigleiter zu seiner Kanzel in ca. 25 Meter Höhe erkämpfte, war dies schon ein beeindruckendes Schauspiel. Von unten sahen wir durch die Glasscheibe im Fußbereich oft nur seinen dicken Bauch und seine Füße. Gerade an schönen Tagen war das Frontfenster aufgestellt und der Kollege schlief zwischen den Transporten friedlich und weitgehend ungestört. Mit der elektrischen Rufanlage, einem gut sichtbaren roten Knopf auf Höhe des Fahrwerks, wurde ihm ein Hiev angemeldet. Doch nicht selten hatte dieser Knopf eine Fehlfunktion. Dann musste man brüllen, was die Stimmbänder hergaben. Eines Tages juckte mich der Hafer und ich brachte eine Zwille und einige Eicheln mit zur Arbeit. Als der Kranführer wieder einmal auf unsere Signale nicht reagierte, zielte ich trotz mahnender Hinweise der älteren Kollegen, auf die Kanzel und schleuderte die Eichel präzise in die Kabine. Doch das offenstehende Fenster lenkte den Präzisionsschuss ab. Wie ich erst später erfuhr, bekam der Kollege die Eichel exakt auf die Nase.

Doch das erwartete Gebrüll blieb aus. Ein großer kahler, von der Sonne rotgebrannter Kopf lugte aus dem Fenster, betrachtete uns und führte die erwünschten Kranarbeiten aus. Am darauffolgenden Tag mussten wir Tankhalbschalen in die Tankbauhalle transportieren. Diese aus fast 4 cm dicken Spezialstahl halbrund gewalzten Stahlplatten von fast 10 Meter Länge und 3 Meter Höhe standen in Reih und Glied hochkant an der Kaikante. Um diese Bauteile in die Tankbauhalle zu transportieren, mussten Transportklauen angebracht werden. Anschließend wurden die Platten durch das geöffnete Dach in die Tankbauhalle zum Montageplatz gehoben. Um diesen Krantransport vorzubereiten, wurden wir in der Regel mit einem Personenkorb zu den Platten gehoben, um dort die Last anzuschlagen. Ich war Mitglied eines Teams aus 4 Schiffbauern. Meine Kollegen baten mich, diese Arbeit ausnahmsweise alleine auszuführen. Sie müssten noch etwas anderes erledigen. Nicht Böses ahnend stieg ich in den Korb und gab dem Kranführer ein Handzeichen für den Hiev. Mit einem Ruck wurden Korb und ich in die Höhe gezogen.

Doch statt mich gezielt zu den Stahlschalen zu bewegen, schwenkte der Kran über das Hafenbecken. Mir schwante Übles als ich die vielen grinsenden Kollegen auf dem Bauplatz und den diabolisch lachenden Kranführer über mir sah. So schnell, wie ich hochgezogen wurde, so genüsslich langsam wurde der Korb zum Wasser hinabbewegt und versank dort gluckernd in dem schlickigen Hafenbecken.
Wie in einem Theater standen die johlenden Kollegen an der Kaikante und unter den Bäumen bei dem gegenüberliegenden Dockbüro.

Das durfte doch alles nicht wahr sein?

Und um der Wahrheit genüge zu tun. Mir ging es nicht um das vorhersehbare Ereignis, das ich nass würde. Die Zuschauer meiner Hilflosigkeit waren für mein Ehrgefühl das schlimmste.

Zuerst wehrte ich mich gegen das Unvermeidliche, kletterte noch auf die Streben, dann auf die oberste Umrandung. Möglicherweise hätte ich sogar noch etwas Wegstrecke an dem Stahlseil hoch geschafft.
Doch was wäre dies für ein erbärmliches Bild gewesen.

So ließ ich es zu, dass ich, starr den Blick auf die Krankanzel gerichtet, bis zum Bauchnabel versenkt wurde. Der Kollege beugte sich vor und rief:

„Das ist die Quittung für die Eichel auf die Nase. Auf mich schießt man nicht! Überleg Dir mit wem Du Dich anlegst Junge“.

Genauso genüsslich langsam wie ich versenkt wurde, so wurde ich auch wieder hochgezogen. Schlicktriefend aber mit trotzig herausgereckten Kinn ertrug ich das Ganze.

Was hätte ich nicht dafür gegeben dies als Zuschauer zu erleben. Der Gang in den Sozialraum zur Dusche und zum Kleiderwechsel war bemerkenswert. Die Geschichte hatte sich wie ein Lauffeuer auf der Werft verbreitet. Es gab lachende Klapse auf die Schulter und viele Kommentare. Unter der Dusche hätte ich dann fast einen Lachkrampf bekommen. Zu gerne hätte ich einem anderen bei diesem Erlebnis zugeschaut. Solche Geschichten gehören zu der Vielzahl von Erlebnissen, die eine Werft so einzigartig machen.

Wenn ich mir die große Gereiztheit der heutigen Tage anschaue, was wären wohl die Folgen gewesen, wenn dies heute passiert wäre?

Versenkt im Hafenbecken

Teamunfähig

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(Bild 123.rft Sei einzigartig)

Vor wenigen Tagen bezeichnete mich ein Gesprächspartner als wenig teamfähig.
Mich erfüllte das einen klitzekleinen Moment mit einem etwas unangenehmen Gefühl (wollen wir nicht alle als gute Teammitglieder gesehen werden?).

Doch dieses Störgefühl dauerte nur wenige Sekunden.

Denn ehrlicherweise muss ich gestehen, dass die Charakterisierung absolut zutreffend war. Was in meinem Leben in und bei der Arbeit habe ich Außergewöhnliches geschafft, weil es in einem Team entstand? Aufrichtige Antwort – so gut wie nichts!

Ich fühle mich wohl bei vielen Menschen. Ich mag Menschen.
Und es ist schön, mit anderen zusammen die Umsetzung von Vorstellungen zu betreiben, sie an der Seite zu wissen und die eigenen wie auch die Ideen anderer besser zu machen.

Aber die wirklich wichtigen und oftmals guten Entscheidungen im Arbeitsleben wurden immer in einsamen Stunden geboren.

Dies war bei der Arbeit so – ich war immer intensiver dabei, wenn ich alleine war.
Dies war in meiner Zeit als Betriebsrat so, – ich habe Entscheidungen getroffen und sie alleine und oftmals gegen das Team durchgekämpft.
Dies war in meinem Leben im Management so.

Die besten Ideen entstanden immer wenn ich alleine war.
Auf dem Fahrrad, im Seekajak, beim Spazierengehen, im Wald oder beim Lesen eines Buches. Fast nie war das heute so modische Team „Brainstorming“ ursächlich.

Nein, – bei dem was mein Arbeitsleben ausmacht war eigentlich nie ein Team dabei oder entscheidend für die Entscheidungen oder Ideen.
Erst in der Reflexion wird mit dies so richtig bewusst.
Fühle ich mich schlecht dabei? Kurzes nachdenken…. Nein eigentlich nicht!
Hätte ich es leichter gehabt die jeweiligen Gruppen vorher einzubeziehen?
Ich weiß es nicht.
Würde ich bei einem Einstellungsgespräch in einem der modernen Betriebe heute eingestellt werden, wenn ich meine Vorliebe für das „einsame Wolf Dasein“ darlegen würde?
Ich glaube kaum.

Sind wir in den hochgelobten Teams immer besser, immer stärker, immer ideenreicher? Da muss ich doch einmal darüber nachdenken.

Teamunfähig