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1998. Etliche Monate arbeitete ich schon als Sonderbeauftragter in Rostock.
Dezent wurde ich darauf hingewiesen doch auch einmal bei dem Arbeitgeberverband in Erscheinung zu treten. Ehrlicherweise muss ich zugeben, dass ich eine gewisse Scheu davor hatte. Der Wechsel vom langjährigen Betriebsratsvorsitzenden zum Sonderbeauftragten war noch frisch. Ich hatte kein Problem mit der Übernahme unternehmerischer Verantwortung. Dies genoss ich sogar.
Doch irgendwie war der Arbeitgeberverband für mich damals noch ein Fremdkörper. Dennoch begleitete ich unseren Arbeitgebervertreter aus Rostock Herrn Dr. Matz, zu einer großen Konferenz nach Schwerin.
Diese fand unmittelbar nach der Landtagswahl im September 1998 statt. Die CDU war abgewählt worden und es bildete sich eine Koalition zwischen SPD und PDS. Als Gäste waren zwei hochrangige Vertreter der zukünftigen Landesregierung angekündigt. Der spätere Innenminister des Landes eröffnete die Veranstaltung mit einem kurzen, freundlichen Grußwort.
Im vollbesetzten Saal dauerte es aber nicht lange und nicht enden wollende Breitseiten von Kritik prasselte auf die beiden sozialdemokratischen Gäste ein.
Die beiden nahmen das Sperrfeuer still und reglos hin. Es waren keine Anzeichen von Empörung oder massiver Gegenwehr erkennbar.
Der Frust über die verlorene Wahl brach sich bei vielen Unternehmensvertretern Bahn und steigerte sich von Wortbeitrag zu Wortbeitrag.
Eckhard Rehberg, dessen Volksnähe und direkte Art und Sprache ich sehr schätze, setzte nach und schlug in seiner unnachahmlichen Art gezielte politische Haken die präzise und wuchtig trafen wie die Schläge eines Profiboxers.
Angesichts der Reglosigkeit der beiden Protagonisten in der ersten Reihe lief mir der kalte Schweiß zwischen die Schulterblätter.
Die Beifallsbekundungen waren lautstark und ich erwartete jeden Augenblick eine Laola Welle im Saal.
Der Versammlungsleiter fragte nach Wortmeldungen. Doch es war eigentlich alles gesagt. Und so fiel denn auch mein gestreckter Arm als Anzeige einer Wortmeldung auf. Die Köpfe drehten sich zu mir. Es wurde still im Saal.
„Mein Name ist Paul Bloem. Ich bin Sonderbeauftragter der Meyer Werft für die Neptun Industrie. Fast mein ganzes Arbeitsleben bin ich Gewerkschafter und noch länger bekennender Sozialdemokrat. Vielleicht darf ich darauf aufmerksam machen das in diesem Land eine demokratische Wahl und kein Militärputsch stattgefunden hat?!“
Das Schweigen wurde bleischwer. Getuschel und leichtes Murren setzte ein. Meine weiteren Ausführungen hatten etwas mit der strategischen Klugheit zu tun die PDS in die Regierungsverantwortung einzubinden, um sie zu entzaubern.
Als ich endete gab nur wenige Hände, die sich aus Höflichkeit zu einem sanften Klatschen regten. Dr. Matz sah mich entgeistert von der Seite an.
Da es keine weiteren Wortbeiträge gab, wurde die Versammlung mit einigen kurzen und etwas versöhnlicheren Worten an die ansonsten noch immer schweigenden sozialdemokratischen Gäste beendet. Ich packte meine Tasche und bewegte mich in Richtung Buffet.
Und seit der Zeit weiß ich, wie Moses sich im Roten Meer fühlte, als Gott das Wasser für ihn und sein Volk Israel teilte.
Auf dem Weg zum Essen teilte sich die wartende intensiv, lautstark miteinander kommunizierende Menge und ließ eine breite stille Gasse für mich.
Die Blicke sprachen eine eindeutige Sprache. Mein ostfriesischer Querschädel hatte mich ganz offensichtlich wieder einmal in Schwierigkeiten gebracht.
Etwas später auf dem Parkplatz, in der wunderbaren Herbstsonne, überlegte ich was ich jetzt tun sollte. Ich kam zu dem Entschluss, besser Bernard Meyer direkt zu informieren, bevor ein Bericht von der Veranstaltung auf anderem Wege zu ihm gelangte.
Meine Schilderungen quittierte er mit einem „Oh Gott“.
Doch damit war die Episode noch nicht zu Ende.
Ich fuhr gerade auf unser Werftgelände in Rostock als Dr. Klischan, unser damaliger Hauptgeschäftsführer von Nordmetall, am Telefon war.
Er war bei der Veranstaltung in Schwerin dabei gewesen und war hörbar entspannter als ich. „Dann sind sie ja jetzt unsere Sozialdemokrat im Arbeitgeberverband“ rief er mir lachend zu. „Vielleicht können Sie uns ja helfen, für unser Martinsgansessen aus der neuen Bundesregierung einen prominenten sozialdemokratischen Redner zu organisieren?“. Dies sagte ich auch zu.
Durch die langjährigen tiefen Verbindungen aus Niedersachsen besaß ich so ziemlich alle wichtigen Telefonnummern der Niedersachsen um den neuen Bundeskanzler in Berlin. So rief ich die Büroleiterin von Gerhard Schröder, Sigrid Krampitz, an.
Nach einem kurzen Small Talk schilderte ich mein Erlebnis in Schwerin und das meine Ehre als sozialdemokratisches Schlachtross jetzt auf dem Spiel stände.
Ich bräuchte irgendwie einen prominenten Sozi Redner für das besagte Martinsgansessen. Sie lachte lauthals über die irre Geschichte und fragte mich unvermittelt – „Was würdest Du denn von Gerd halten“?
Ich fragte, „Moment – Du meinst nicht unseren Gerhard“?
Dies bestätigte sie immer noch feixend. „Er steht neben mir, hat alles mit angehört und der Verband soll ihn mal anrufen. Wenn kein Krieg oder so etwas in der Art dazwischen kommt, dann wird er dort reden“.
Als ich Dr. Klischan davon ca. 5 Minuten später in Kenntnis setzte, fiel diesem fast der Telefonhörer aus der Hand.
Die Terminierung wurde tatsächlich auch organisiert.
Ich hatte meinen Einfluss deutlich gemacht.
Aus irgendeinem Grund, der mir jetzt entfallen ist, platzte der Auftritt aber dennoch.
Eine abenteuerliche Geschichte und ein großer Spaß war das Ganze aber schon.