„Das Schicksal nimmt nichts, was es nicht gegeben hat.“

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Symbolbild Pixabay

Mein Gesprächspartner erfährt, dass ich zum Herbst aus dem Arbeitsleben ausscheide.
In freundlicher Absicht äußert er, dass ich doch stolz auf die Lebensgeschichte sein könnte. Und für einen kurzen Moment erwische ich mich dabei, diese anerkennende Äußerung auch anzunehmen. Wir sind ja auch sehr empfänglich für so etwas.

Und doch steht uns auf der Suche nach tiefer Zufriedenheit der individuelle Stolz ständig im Weg. Wie viel dessen, was wir erreicht haben, basiert tatsächlich auf der eigenen Leistung? Und wie viel davon entstand auch durch viel Glück oder Zufall?

In einer spannenden Diskussion über die Bedeutung der individuellen Leistung in unserer Gesellschaft, habe ich bei einer Veranstaltung folgende Frage gestellt: „Nehmen wir einmal an, wir dürften vor der Geburt wählen wo wir zur Welt kommen. In einer Familie in Deutschland oder als Häuptlingssohn eines Stammesfürsten in Afrika. Was würden wir wählen?“

In der damaligen Veranstaltung wählten verdutzte Zuhörer zu über 80% Deutschland. Alleine diese Entscheidung zeigt, welchen Stellenwert wir dem „Zufall“ des Geburtsortes zubilligen.

  • Der Beginn unseres Lebens,
  • von wem wir gezeugt werden,
  • von welchem Elternteil wir wie viele und welche Gene erhalten,
  • wo wir und in welche Umstände geboren werden,

ist eine reine Lotterie. Und diese Zufälle, die unser Leben mehr bestimmen als wir wahrhaben wollen, enden auch nicht.

Meine Brüder und ich sind zusammen groß geworden. Wir schätzen uns sehr und doch wurden wir ganz verschiedene Persönlichkeiten.

Waren es die Bücher aus der Schulbücherei in Wymeer, die ich zum Unverständnis meines Vaters verschlungen habe? Waren es die persönlichen Beobachtungen der Unfreiheit meines Vaters als Landarbeiter, die einprägsam waren?
Oder die Diskussionen mit meinen Arbeitskollegen über politisch kontroverse Themen? Welche Rolle spielte die zu späte Schulanmeldung zum Studium und das daraufhin erfolgte Angebot des alten Betriebsratsvorsitzenden  Hako Haken zur vorübergehenden Mitarbeit im Betriebsrat, für den späteren Werdegang?

So viele Weggabelungen, die sich aus Glück, Zufall oder eben auch Schicksal zusammensetzten. Das Leben folgt keinem Masterplan. Es geschieht einfach während der meisten Zeit. Und vieles können wir nicht beeinflussen.

Die Gene meiner Eltern, mein Elternhaus, meine Familie, Freunde, meine Lehrer, meine Kollegen, vor allem meine Frau, meine tollen Kinder und sicherlich auch gute Bücher, prägten die Kreuzungen meines Lebens. Also alles in allem auch viel Glück und Zufall!
Und dieses Bewusstsein erzeugt mehr Dankbarkeit als Stolz.
Und so habe ich allen Anlass, bescheiden und demütig zu sein.
Demut, – ein altmodischer Begriff, der aber durchaus wieder in Mode kommen sollte. Man nimmt das Leben mit Demut dankbar als etwas wahr, was mitnichten selbstverständlich ist.

Wir wollen in einer Gesellschaft leben, die auf Leistung aufgebaut ist.
Glück oder Zufall hat da kaum noch Platz. Tausende Beratungsbücher bauen auf der Botschaft „Alles ist Dir möglich“. Doch ist dies real?
Es ist heutzutage modisch und angesagt die eigenen Leistungen aufsehenerregend zu präsentieren. Dies findet seine Perfektionierung oder vielleicht auch Pervertierung in Photoshopbearbeiteten Porträts und aufgehübschten Werdegängen.
Die Überschätzung der eigenen Leistung und die Unterschätzung von Faktoren die außerhalb unseres Einflusses liegen schafft viele Probleme. Es erschafft Menschen die ihre eigenen Fähigkeiten und Rollen fortlaufend überschätzen. Der Narzissmus feiert fröhliche Urstände. Sobald Probleme und große Herausforderungen auftauchen, geraten immer mehr  Menschen in Stress und Wut weil sie die Macht des Zufalls, des unbeeinflussbaren, nicht wahrhaben wollen. Irgendeiner muss Schuld haben!

Doch zurück zu dem heutigen Gespräch.
Mein Gegenüber fragte mich etwas verunsichert, ob ich denn die individuelle Leistung als nebensächlich ansehen würde.
Das meine ich mit diesen Gedanken überhaupt nicht.

Wir alle müssen jeden Tag daran arbeiten das wir uns verbessern.
Das wir uns bewusst sind was uns ausmacht.
Welche Fähigkeiten, Kompetenzen und Talente wir haben. Und diese und nicht die modisch gerade angesagten Dinge sollten wir entwickeln, stärken und perfektionieren.
Wir sollten uns aber auch über die Flüchtigkeit unseres Wirkens, Lebens und Arbeitens bewusst werden.
Das Streben nach Zufriedenheit und Glück, beinhaltet die Akzeptanz der eigenen Begrenzungen und das Bewusstsein über die Rolle des Glücks und des Zufalls im eigenen Leben. Dieses Bewusstsein erdet und wappnet uns gegen falsche eigene und fremde Erwartungen.

Wie uns ein nicht kalkulierbares Unglück treffen kann, zeigt doch auch und gerade die aktuelle Pandemie. Ob Restaurantbesitzer, kleiner Dienstleister, Künstler oder auch Werft. Die Leistungsbereitschaft spielt keine Rolle. Ein Virus wirft alle Leistungen einfach über Bord! Der Zufall übernimmt die Regie.
Wenn wir anerkennen, dass es sehr viele Dinge gibt, auf die wir keinen Einfluss haben, und das Glück und Zufall sowohl für den Erfolg wie auch für das Unglück eine große Rolle spielen, kann man das Leben besser „einsortieren“ und erlernt Bescheidenheit.

Wie sagt der alte Seneca:
„Das Schicksal nimmt nichts, was es nicht gegeben hat.“

„Das Schicksal nimmt nichts, was es nicht gegeben hat.“

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