Das Ende der Worte.

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Vor einigen Tagen las ich von einer sogenannten Biografieübung.
Die beschriebenen Übungen weckten meine Neugier und regten mich zur Nachahmung an. 

Zuerst macht man etwas Außergewöhnliches.
Ich bin Rechtshänder und sollte doch mit der linken Hand die rechte Hand als Umriss nachzeichnen. Dann oblag es der linken Hand in die Umrisse der rechten Hand hineinzuschreiben, was diese alles schon gemacht hat.
Die ersten Begriffe hatten viel mit der Arbeit zu tun. Doch das schwierige Schreiben mit links fordert die Konzentration auf Qualität und nicht Quantität. Ich musste mich also fokussieren und reduzieren. Und so brachen Assoziationen hervor, die mich meine Hand anders, als nicht mehr so selbstverständlich betrachten ließen. 

Nach den ersten Begriffen im Zusammenhang mit der Arbeit, dominierten immer stärker andere Rückblenden die Erinnerung. Die Erlebnisse der Hand, der Faust, mit Raufereien und Härte. Doch noch viel mehr an Zärtlichkeiten, an Berührungen von und zu Menschen, dem Partner, den Kindern, den Eltern, Pflanzen, Erde und Wasser, den vielen analogen Spielen der Kindheit und auch so etwas profanen wie das formen von Schneebällen.  So viele Erlebnisse, die allesamt mit der so selbstverständlich vorhandenen Hand zusammenhängen.
Doch dann sollte ich, jetzt durchaus mit der rechten Hand, aufmalen oder auch skizzieren, an welche Erlebnisse ich mich ganz besonders gerne erinnern würde.
Und wie bei einer sanften Skifahrt auf einem leichten und wunderschön glitzernden Schneehang gleite ich in schöne Bilder der Erinnerung.
Die moderne, die heutige Welt, die ich durchaus mag, die ich schätze und auch nicht ablehne, wird aus der ersten Reihe verdrängt.
Kaum etwas von dem, was den Tag so dominiert, steht jetzt noch im Vordergrund.
Schon fast vergilbte Bilder der letzten Jahrzehnte tauchen auf. Ich erinnere mich an den Stolz der ersten Treckerfahrt auf dem Kartoffelacker, an die Begeisterung des Kletterers wenn ich die höchsten Baumwipfel eroberte. An den unverwechselbaren Geruch des Heimatdorfes. Der saftige schwere süßliche Duft der allgegenwärtigen Birken vor einem Regen, des frisch geschnittenen Grases und auch dem Gefühl der großen Freiheit bei den Fahrten mit meinem Kreidler Moped. An viele Dinge, die damals einfach auftauchten, die ich nicht einordnen konnte, wollte oder musste. Die ich nur zur Kenntnis nahm und deren Gewichtung erst im Abstand von Jahrzehnten erfolgt. Und natürlich prägt ganz besonders die Geborgenheit und Erlebnisse mit meiner damaligen und heutigen Familie (Doch wie zeichnet man so etwas – nicht wahr?)

Das Blatt füllte sich mit vielen mit Untertiteln versehenen Graffiti (Zeichnungen waren das ganz bestimmt nicht). Erinnerungen, die spannend und aufregend und auch nicht immer nur schön waren. Doch auch diese Ereignisse fühlen sich heute gut, vertraut und prägend an. Sie gehören einfach dazu.

Als letzte Übung werde ich gebeten, noch einmal auszuharren und zu erkennen, welche Werte sich durch die Erinnerungen ziehen und bis heute prägen. 

Und plötzlich erlebe ich das Ende der Worte.
Worte, gesprochene wie auch geschriebene bestimmen mein Leben. Doch bei dieser Aufgabe entstehen und bleiben fast nur Bilder und Gefühle. 

Und nach dieser interessanten Erfahrung, zurück in der hektischen Wirklichkeit, denke ich darüber nach ob und was von dieser modernen Zeit in einigen Jahren solchen prägenden Bestand hat wie die Rückblicke, die mich bei dieser Übung mit Wärme erfüllten.  Aus langsameren (?), aus anderen Zeiten.

Das Ende der Worte.

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