Zeitenwende mal anders verstanden

Wieso tobt in den sozialen Medien und in der Politik eigentlich so ein Glaubenskrieg um den Krieg Russlands mit der Ukraine? Die einen überhöhen einen zögernden Kanzler, die anderen wollen vergessen machen wie lange es eine zaudernde Kanzlerin gab. Die einen heroisieren die Ukraine die anderen reiben sich wund an einem unangenehmen Botschafter?! Warum? Es gibt aber doch einige unstrittige Fakten – oder?

  1. Es handelt sich bei dem Krieg Russlands um einen eindeutigen und wiederholten Bruch des Völkerrechts! Solidarität mit der Ukraine hat damit zuallererst einmal den Anspruch diesem Völkerrecht mit allen Mitteln Geltung zu verschaffen! Dies sollte auch im Mittelpunkt aller Argumentationen stehen. Gestatten wir Ländern, Machthabern, Diktaturen, internationales Völkerrecht folgenlos zu missachten, droht der Rückfall in düstere anarchische Zustände. Ob die Ukraine deutliche Defizite auf dem Weg in eine demokratische Struktur hat, spielt dabei erst einmal überhaupt keine Rolle.
  2. Wir verlieren gerade Ansehen in vielen Teilen der Welt weil wir statt den Bruch des Völkerrechts in den Mittelpunkt unserer Argumentation von Sanktionen und Reaktionen zu stellen, stark moralisch argumentieren. Doch grausame Kriege und die schrecklichen Leiden der Zivilbevölkerung sind überall auf der Welt ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit und sollten nirgendwo akzeptiert werden. Das Leid und die Wut über Grausamkeit und Barbarei darf sich nicht an der Hautfarbe oder der Region in der dies stattfindet orientieren. Viele Menschen aus der leidgeprüften sogenannten 3.Welt nehmen unsere moralische Entrüstung aber genauso wahr und wundern sich weil wir dabei die hunderttausende Opfer im Jemen, Sudan, Afghanistan, Mali usw. usw weitgehend ignorieren.
  3. Mit der Lieferung von Waffen an ein Land das laut Völkerrecht überfallen wurde, wird man formell keine Kriegspartei! Man sollte diese Behelfskonstruktion in der Debatte sein lassen.
  4. Tatsache ist doch vielmehr dass man es bei Russland mittlerweile mit einem Staat zu tun hat, der schon mehrfach bewiesen hat wie völlig egal ihm internationale Regeln, Normen und Gesetze sind. Und ist es deshalb wirklich Besonnenheit oder sind es die strategischen Erwägungen die einem robusten Einsatz für das Völkerrecht bremsen? Ist es nicht viel mehr die Angst vor der völligen Unkalkulierbarkeit eine Diktators, bei dem wir uns in Abhängigkeit begeben haben? Es würde die Diskussion erleichtern und es wäre ehrlich und wohltuend dies einfach mal zuzugeben.
  5. Abhängigkeiten gegenüber Diktaturen haben immer einen Preis. Wir wurden jahrzehntelang bezahlt mit wirtschaftlichen Vorteilen und zahlen mit dem Akzeptieren von Menschenrechtsverletzungen und einem mehr oder weniger halbherzigen Eintreten für Freiheit und Demokratie.

Ob dies so bleiben muss, ob wir es wagen, mit dem Wissen um die Konsequenzen, diese jahrzehntelangen Trampelpfade zu verlassen, – dies sollte der faire und anständige Streit unter Demokraten sein, und nicht einem parteipolitisches Klein Klein Gezanke dass der historischen Herausforderung nicht gerecht wird. Und in einer solchen Diskussion wäre das Wort Zeitenwende auch mehr als nur eine klingende Wortschöpfung.

Zeitenwende mal anders verstanden

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